Innehalten und Unzulänglichkeiten der Sprache

2. Tag der Tanzplattform 2022 in Berlin

Es bleibt nicht aus, angesichts der Fülle der Arbeiten Vergleiche anzustellen. Bereits jetzt ist ein roter Faden erkennbar. Aber lassen sich einzelne Stücke damit in Beziehung zueinander setzen?

Berlin, 18/03/2022

Eine Frage stellt sich bei Festival-Formen wie der Tanzplattform immer, die sich auch durch regen Austausch nicht so ohne weiteres beantworten lässt: Warum? Welche Hintergründe haben eine Jury dazu bewegt, die einzelnen Stücke einzuladen? Neben offiziellen Auswahlkriterien bleibt die Frage nach Qualität immer eine subjektive. Genau deshalb entsteht ein besonderer Reiz, wenn sich Tendenzen, Parallelen oder vergleichbare Grundansätze erkennen lassen. Im Fall der Tanzplattform scheint das recht einfach.

Wir alle hatten in den letzten zwei Jahren mehr Gelegenheit, über uns selbst und das Leben an sich nachzudenken als uns recht war. Dabei sind viele Fragen aufgeploppt, auf die sich kaum schnell Antworten haben finden lassen. Das Gefühl von Unsicherheit äußert sich in Zweifeln. Dass eine solche Zäsur zwangsläufig ihre Auswirkungen auch auf künstlerische Prozesse hat, liegt inzwischen auf der Hand.

Entsprechend auffällig erscheint der Ansatz des Hinterfragens, einem Befragen des Tradierten und vermeintlich bislang Vertrauten. Dazu gehören auch sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten. Sprache als Werkzeug wird genau so zerlegt wie Bewegungsansätze, bis hinein in die kleinsten Sinneinheiten. Dieses Dekonstruieren von Sinn hat nicht selten Nonsens zur Folge. Sprache wird zu Geräuschen, zu Body-Percussion. Das kann wirklich richtig Spaß machen. Damit spielten schon zum Auftakt Carolin Jüngst und Lisa Rykena in „She Legend“ im HAU3; Moritz Ostruschnjaks ironische Brechungen in seinen „Tanzanweisungen“ haben das zur Eröffnung im Deutschen Theater gezeigt.

Genau so zögernd, aber tatsächlich noch stärker sichtbar machend, geht Sheena McGrandles „Flush“ in den Sophiensaelen an. Die drei Performerinnen belustigen mit wiederholtem Vor- und Zurückspulen kurzer Bewegungssequenzen, hängen einzelne Szenen in den Loop, körperlich und sprachlich, und zelebrieren genussvoll einen Kalauer nach dem nächsten. Und immer wieder ein langes Freeze, dieses Innehalten, dieses Festhalten am Moment, am einzelnen Bruchteil eines Gedankens. Repetitive Mantras werden genauso zu Collagen wie vereinzelte Sounds. Sichtbare Entwicklung im dramaturgischen Sinn scheint es nicht zu geben. Nur ist das gerade eben kein Manko. Tun sie also etwas oder gerade nicht? „So real in here“ heißt es da. Plötzlich fühlt man sich allein, ohne einsam zu sein.

Nicht voran kommen können oder nicht wollen? Was ist (noch) machbar? Angesichts dessen mag man sich fragen, was wir eigentlich den lieben langen Tag so „machen“. Selten etwas Gescheites, wie es scheint. Genau das kommt hier unter die Lupe.

Diese deutlich wahrnehmbaren Reflexionsprozesse des Zweifelns sind auch in der verkleinerten Version von Fabrice Mazliahs „Telling Stories – a version for three“ offensichtlich. Nur ist der Titel eine reine Finte. Von „Stories“ kann so nämlich überhaupt nicht die Rede sein. Vielmehr funktioniert zum Verständnis des Ansatzes hier ein Blick auf Mazliahs Vergangenheit: Er war lange Jahre Tänzer bei William Forsythe, genau wie Tilman O’Donnell und Katja Cheraneva, die neben Susanne Grau als Performer*innen im Radialsystem auf einem Tanzboden agieren, der an orientalische Fliesen erinnert. Dabei könnte man fast übersehen, dass das vermeintlich regelmäßige Muster so regelmäßig gar nicht ist. Und bekanntlich gibt es selten Zufälle. Der Bruch ist offensichtlich.

Die drei zelebrieren körperliche Raumvermessungen und unterhalten sich dabei entspannt über die Frage, wann ein Tisch ein Tisch ist und was für eine Art von Tisch man eigentlich bevorzugt. Wer die köstlichen Sprachspiele und dezidiert intellektuell-linguistischen Reflexionen aus den Stücken Forsythes noch im Ohr hat, hört hier mühelos ein Echo. Da winkt Dekonstruktion schon um die Ecke.
Im Pressetext heißt es, hier würde „keine De/Konstruktion“ erzählt, sondern choreografisch erfahrbar gemacht. Das stimmt, aber auch nicht ganz. Sprachlich bereitet gerade das Konzept „Tisch“ (und dessen Befragung) die Dekonstruktion im Raum eigentlich erst vor. Abstrakte Bewegungsabläufe erfahren immer stärker konkrete Bezüge, indem auch hier eine längere Sequenz in einen Loop gehängt wird und durch immer mehr Requisiten in den nachfolgenden, variierenden Abfolgen zusehends greifbarer zu werden scheint. Auch hier also ein Verharren im Moment, ein Festhalten an dem Wenigen, das gerade greifbar erscheint. Ein Reset im „concept space“. Sehen und Erfahren sind hier nicht identisch.

Genau dann, wenn die Dramaturgie dünn zu werden scheint, die Sichtbarkeit in Vorhersehbarkeit umzukippen droht, bewegt sich alles in eine neue, aufregende Richtung: Die Requisiten werden zurückgefahren und für den Moment durch neue ersetzt, die eine Reduzierung auf ihre geometrischen Grundformen zu sein scheinen. Entsprechend erscheint das Bewegungsvokabular in einem ganz anderen Licht. Dieser Ansatz der Dekonstruktion wird so weit getrieben, dass einem „Inhalt“, einem Sinn, der Boden unter den Füßen entzogen wird. Das Publikum bleibt mit leeren Händen zurück, aber weiß Gott nicht mit leerem Kopf.

Leerer könnten einige Köpfe am Ende von Antje Pfundtners „Sitzen ist eine gute Idee“ aber durchaus sein, zumindest für jene im Publikum, die mit ihrer Arbeitsweise nicht vertraut sind. Sie räumt, ebenfalls im Radialsystem, den Raum um. Sie räumt auf. Sie zwingt das Publikum zur „Reise nach Jerusalem“. Wer denkt, er könne sich bei Antje Pfundtner einen bequemen Abend machen, hat sich getäuscht. Sie ist bekannt für ihre Winkelzüge, das permanente Schlagen von Haken. Sie spielt Gott und lädt das Publikum zum kollektiven Weinen ein. Alles ist ihre Idee, wie sie betont. Aber eben Quatsch. Auch darauf besteht sie. Sie strapaziert die Sprache und gern die Geduld des Publikums. Eigentlich zerlegt sie nichts. Sie setzt nur nie etwas zusammen. Catch her, if you can. Was das mit Melancholie zu tun hat, hat Annette Bopp bereits anlässlich der Uraufführung des Stücks in Hamburg herausgefunden.

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