"Moving Cities"

Hongkong im Lockdown

Der Folgen der Pandemie für den Tanz in Hongkong sind noch nicht abzusehen. Aber die Verluste sind bereits jetzt gewaltig.

Auf begrenzte Platzkapazitäten und erhöhte Eintrittspreise folgten endgültige Schließungen. Die Tanzszene Hongkongs steht vor einer ungewissen Zukunft.

Hongkong, 27/03/2022

Von Joanna Hoi-yin Lee

Die Covid-Situation in Hongkong hatte sich, wie in vielen anderen Ländern auch, im Sommer 2021 stabilisiert. Auch in Hongkong wurden die Theater wieder geöffnet. Auch in Hongkong blieb die Zuschauerkapazität zunächst auf fünfzig Prozent begrenzt und wurde später auf 75 Prozent erhöht. Nun aber steht auf diesem Inselkonglomerat am Chinesischen Meer wieder alles auf Anfang. Der zur Zeit verhängte harte Lockdown trifft den Tanz, der schon vorher angeschlagen war.

Es begann bei den Preisen. Um die der Covid-Situation geschuldete geringe Auslastung der Theater auszugleichen, wurden die Kartenpreise erhöht. Die günstigsten Karten für eine durchschnittliche Vorstellung stiegen von etwa 15 Euro vor der Pandemie auf nun rund 25 Euro. Natürlich hatte das Auswirkungen auf die Bereitschaft, überhaupt ins Theater zu gehen. Denn auch die wirtschaftliche Lage hat sich noch lange nicht erholt.

 

Nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebs 2021 wurden in kurzer Zeit zahlreiche Tanzvorstellungen präsentiert. Zwei davon, „Nine Songs“, ein dreißig Jahre altes Werk der bekannten Choreografin Helen Lai, das von der Hong Kong Dance Company neu inszeniert wurde, und „Luck-quacka“, eine Adaption des Ballettklassikers „Der Nussknacker“, die von der City Contemporary Dance Company (CCDC) präsentiert wurde, standen ganz oben in der Gunst des ausgedünnten Premierenpublikums. Beide Stücke lösten vor allem sentimentale Reaktionen aus und sollten es wohl auch. Eine Gruppe von Tänzerinnen und Tänzern, heute 40, 50 Jahre alt, erinnerte sich vor Publikum an Zeiten, in denen sie bei früheren Aufführungen von „Nine Songs“ mitwirkten. Und in „Luck-quacka“ versucht Onkel Drosselmeyer, ein alter Mann aus dem legendären „Nussknacker“, den Prinzen wieder zum Leben zu erwecken. Wenn der junge Mann die aufgehende Sonne und der alte Mann die untergehende Sonne darstellt, hieß das zweifellos: Hongkong wird als eine Stadt in der Abenddämmerung empfunden. Die Insel und das Publikum, sie erinnern sich der besseren Zeiten Hongkongs und zahlen gern für ihr Objekt der Nostalgie.

 

Am stärksten spürbar ist diese Nostalgie in der zeitgenössischen Tanzszene. Das CCDC Dance Centre, die Wiege mehrerer Generationen von Tänzer*innen, schloss im Oktober 2021 seine Türen – für immer. Vier Jahrzehnte lang war das Zentrum in einem siebenstöckigen Gebäude im Stadtteil Wong Tai Sin im Osten von Kowloon untergebracht. Das Gebäude gehört der Familie des Gründers der CCDC, Willy Tsao. Er beschloss im Jahr zuvor, die City Contemporary Dance Company zu verlassen. Das Gebäude ging daraufhin an die Familie zurück, um es neu zu entwickeln. Das Theater war nicht nur das Zuhause der CCDC, es war zugleich das Herzstück der Tanzgemeinschaft in Hongkong: Es war ein Ort mit kostengünstigen Probestudios für unabhängige Tanzschaffende, es beherbergte ein kleines Theater, das aufstrebenden Choreografen Unterstützung anbot. Und es gab Wohnraum für einheimische und ausländische Tanzkünstler. Es gab Trainingsstunden zu relativ geringen Gebühren, die es Tausenden von Tanzenden ermöglichte, an sich selbst zu arbeiten. Es war im wahrsten Sinne des Wortes das Zentrum des Hongkonger Tanzes. Das CCDC Dance Centre ist mittlerweile in einen sehr viel kleineren Raum in den Stadtteil New Territories umgezogen und pandemiebedingt geschlossen. Seine Verbindung zu den Tanzschaffenden und -liebhabern in Hongkong ist unterbrochen. Ob diese Verbindung wiederhergestellt werden kann, muss sich erst noch herausstellen.

Dieser Teil einer aktuellen Reportage aus Hongkong ist in Gänze nachzulesen auf https://tanz.dance

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