„Alte Bekannte – bekannte Alte“ von Bodytalk

Hip-Hop mit Rollator

Bodytalk zeigt „Alte Bekannte – bekannte Alte“ in den Uferstudios Berlin

Generationenenkonflikt und Altersängste treffen in metaphorischen Bildern auf den Krieg

Sie kriechen durch Staub und Nebel, gefallen und geschlagen, auf einem großen Z. Totenschädel liegen herum, dazu gibt es eine aggressive Joy Divison-Version auf die Ohren. Ein Einmarsch in Dantes Inferno; wer hier abtritt, lässt alle Hoffnung fahren. Mit diesem überwältigenden Schlussbild endet „Alte Bekannte – bekannte Alte“ von bodytalk, der am Freitag in der Berliner Uferstudis zur Aufführung kam. Bis zu diesem Ende war es ein Weg von 1 Stunde und 10 Minuten, auf den die Choreografin Yoshiko Waki und ihr künstlerischer Kompagnon Rolf Baumgart ihr Ensemble geschickt haben, um auf der Bühne einen Generationskonflikt zu verhandeln und zugleich einen aktuellen Kommentar zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine in eindrucksvollen Szenen und Bildern voller Metaphorik auf die Bühne zu werfen.

Es ist keine theoretische Verhandlung. Yoshiko Waki hat sechs ältere Kolleginnen und Kollegen - zumeist aus dem Kresnik-Umfeld – mit ins Boot geholt, die zusammen mit drei jüngeren Tänzerinnen und Tänzern durch den Abend der (Un-)Vergänglichkeit des Tanzes und seiner Protagonisten führen. Doch bevor das Ensemble sich im Schatten der Tanzgrößen Duncan/Palucca/Wigman zu Togen tragenden Säulenheiligen verwandelt, lockt der ironische Einstieg des tanzenden Conferenciers René Haustein mit einer Gameshow um 100 Euro Zusatzgage. Da wird mit Rollator getanzt, werden eher ironisch-schlechte Exerzitien präsentiert oder die körperliche Regung wird gleich ganz verweigert. Doch auch die auf den Sockel gehobenen und zur Pietá geformten Tanzdenkmäler sind unter Umständen nur schlecht gealterte Zombies jenseits von Glanz und Gloria und spätestens als die drei Jungen eine Petition zum freiwilligen Ableben vorlegen, ist der Generationenvertrag nur noch Makulatur – auch wenn später alle wieder zur gemeinsamen phallischen Grillparty mit allerhand sexuell konnotierten Doppeldeutigkeiten zusammenkommen. Bis ein Soldat auch diese Ruhe zerstört.

Bodytalk setzt im Laufe von „Alte Bekannte – bekannte Alte“ auf Humor, eindringliche Bilder, abrupte inhaltliche Brüche und eine variantenreiche Musik mit Live-Momenten und vorproduzierten Samples. Der Soundtrack, performt von Rafael Weisz ist mal aktiv nach vorne peitschend mit eindrücklich Drums oder freudig-ironische Seelenruhe ausstrahlend im Stile eines Singer-Songwriters und immer trifft er emotional klar den Moment und verstärkt das Bühnengeschehen. Auch wenn der Tanz im Mittelpunkt stehen soll und sich das bodytalksche Bewegungsmoment, das immer wieder in eindrucksvollen Ensemblebildern aufgeht, klar durch den Abend führt, so ist doch die inhaltliche Ebene, die hier verkörpert wird, mindestens genauso wichtig. Es ist beeindruckend, wie das Ensemble in sorgfältiger Sorglosigkeit jeden der mitunter abrupten Stimmungswechsel mitgeht und auch jede chaotisch wirkende Fragmentierung meisterlich wieder zusammenführt und wie sie ganz offensichtlich einen Mordsspaß an der Sache haben, wenn sie auf Todesschädeln balancieren müssen oder ein Penis in einer Grillgabel landet. Es ist ein überbordendes Spiel, immer wieder finden an den verschiedenen Ecken der Bühne kleine Fragmenthandlungen statt, die dann im großen Bild kulminieren – oder die brutal durch externe Aktionen beendet werde. Diese Kriegsebene ist subtiler, kein Agitprop sondern ein bedrohliches Einsickern des Todes in permanenter Dopplung der ohnehin unausgesprochenen Angst von Tod und Zerfall, die dem Abend als Grundierung dient.

Dieser Abend verneigt sich vor allen Tänzerinnen und Tänzern mit der Botschaft, dass man nie zu alt ist, um mit dem Tanzen doch noch weitermachen. Das Wichtige ist nicht der junge fitte Körper, sondern der wache Geist und ein kreativer Wille. Dann spielt das Alter keine Rolle.

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