„24 Préludes“ von Alexei Ratmansky. Tanz: Wiener Staatsballett, 2022.

„24 Préludes“ von Alexej Ratmansky. Tanz: Wiener Staatsballett, 2022.

Die liebe, die gute Musik

Die Wiener Premiere von „Begegnungen“ an der Volksoper mit neuen Werken von Schläpfer und Kaydanovskij sowie „24 Préludes“ von Ratmansky.

Es sind schwierige Zeiten. Die Corona-Pandemie ist die eine Sache, die Problematik mit der Spielplangestaltung an Häusern mit großen Ballettensembles die andere. Verschärft durch die Tatsache, dass das derzeit zögerlich in Theater strömende Publikum nach der Pandemie zurückgewonnen werden muss.

Wien, 05/02/2022
Was zeigt man aus der meist durch traditionsbewusste Geschichtserzählung erzeugten Vorstellung, was eine Stadt, ein Haus, im aktuellen Fall das Wiener Staatsballett beibehalten, offenbaren soll oder was nicht? Großes Handlungsballett ist meist Publikumsmagnet, aber welches? Mehrteiler natürlich, aber die sind in Wien jedoch oft im Verkauf problematisch. Und wieweit sollen dabei noch aktuelle Debatten einfließen wie MeToo, kulturelle Aneignung u.a.?

Eine von jeder Generation immer wieder neu gestellte Frage ist die nach den Möglichkeiten der Erzählkunst und der entsprechenden Dramaturgie. Offenherzig nimmt sich da Martin Schläpfers Äußerung anlässlich der Werkstatt vor der neuen Premiere am 2. Februar in der Volksoper aus, wenn er sinngemäß sagt: Was ein anständiger Choreograf ist, der kann auch erzählen; abstraktes Ballett gibt es ja an sich nicht, es sind Menschen auf der Bühne, mit ihrer Psyche usw.“ Dem vorausgegangen war die Bemerkung des zweiten Uraufführungs-Choreografen des neuen dreiteiligen Programms mit dem Übertitel Begegnungen: Andrej Kaydanovskij will dieses Mal mit Lux Umbra „abstrakt“ sein, meint vermutlich handlungslos und übersetzt dann doch Platons Höhlengleichnis in erzählendes Geschehen. Dafür hat er den zeitgenössischen Komponisten Christof Dienz gewonnen, der wiederum von Stimmungs-Bildern spricht, die er für Kaydanovskij geschrieben hat. Musikalisch setzt Chefchoreograf Schläpfer auf Beethovens 4. Klavierkonzert, er suche keinen Konflikt, sondern wolle vielmehr mit kupferfarbenen, warmen Bildern auf diese absolute Musik reagieren. Diesen Ausführungen folgt dann noch eine Schläpfersche Replik auf die Umstände, dass das Arbeiten mit zeitgenössischer Musik nicht zuletzt wegen der Tantiemen extrem teuer sei. Als 62jähriger empfinde er Beethoven durchaus als modern.

Man versteht, dass es trotz prominenter Ausreißer auf großen Bühnen anhaltend die gängige Arbeitsweise ist, sich über „die Musik zuerst“ zu einer Kreation zu entschließen und diese in welchem Verhältnis auch immer als Spannungsfeld für Aktion zu begreifen, weniger über „ein Konzept zuerst“. Aber, wie Schläpfer sich an dem Abend auch äußert : „Ich unterwerfe mich nie der Musik, da würde ich den Tanz als Sparte nicht genug verteidigen.“

Der neue dreistündige Abend des Wiener Staatsballetts beginnt in der Volksoper mit „24 Préludes“ von Alexej Ratmansky, der dieses Auftragswerk 2013 für das Londoner Royal Ballet entworfen hatte. Der kenntnisreiche Chronist geschichtsträchtigen Ballettvokabulars verwendet für seine Evolutionen die Orchestrierung von Jean Francaix (1967), die mit französisch parfümierter und sentimentaler Attitüde auch manch witziges Attribut aufzuweisen hat. Ausstatter Keso Dekker hat der Wien-Premiere ein zeitgemäßes, minimalistisches Update verpasst. In kurzen abgeschlossenen Szenen, die letztlich eine doch zähe Gesamtlänge von fast 50 Minuten erreichen, setzt Ratmansky das Erbe der russischen Schule kenntnisreich und „smooth“ in Bewegung. Schwierige, teils wenig verwendete Sprünge italienischen Ursprungs tauchen ebenso auf wie erzählerisch-pantomimische Elemente in historisierender Art, expressionistische wie dekorative Armhaltungen, aber auch maskuline Schlussposen aus heroischen Pas de deux. Es sind aufleuchtende Details, die einen unverwandt an vieles Mehr aus der russischen Geschichte erinnern. Schwierig und herausfordernd zu tanzen ist diese Welt der erinnerten, wiedergefundenen, dekorativen Spitzentanzkultur allemal. Ein gewisser George Balanchine hatte sie einst erfolgreich abgeräumt. Die Wiener Paare, Horner und Menha, Yakovleva – Vandervelde, Liashenko – Cherevychko, Konovalova – Popov, erreichen einen guten Standard, der sich in Schläpfers Beethoven wiederfinden wird.

Der in Wien beheimatete Andrey Kaydanovskij thematisiert in der 25 Minuten dauernden Produktion „Lux Umbra“ Platons Höhlengleichnis. Die Bühne lebt nicht nur von seiner eigentümlichen, neugierig machenden Körpersprache sondern zeigt einmal mehr sein Interesse an intensiver Zusammenarbeit mit der Ausstatterin Karoline Hogl und erstmals mit dem Komponisten Christof Dienz. Möglicherweise hat es an Zeit gemangelt, die sehr differenzierten für das Volksopern-Orchester geschriebenen, musikalisch-szenischen Räume auch dramaturgisch auszuschöpfen. Marcos Menha agiert als Suchender vor einer schrägen Wand, durch deren Öffnung gleißendes Licht eindringt, eine Gruppe in plissierten langen Röcken tritt en face auf, offenbar die Schatten, derer es sich zu entledigen gilt, um nach draußen zu kommen. Rebecca Horner räumt auf mit den Röcken und findet sich mit dem Mann nach dem Fall der Wand auf einem Ährenfeld wieder. Doch auch dort gleißt wieder neues Licht…

Die dritte Welterfahrung an diesem Abend, zu dessen Gelingen das Orchester unter Gerrit Prießnitz gehaltvoll und differenziert beiträgt, gilt Martin Schläpfers Auseinandersetzung mit dem 4. Klavierkonzert von Beethoven für dessen Interpretation der Finne Johannes Piirto gewonnen wurde. „In Sonne verwandelt“ nennt Schläpfer sein eigentlich dunkles Tanzstück, in dem sich vor einer rötlichen, bergähnlichen Skulptur (von Marcus Spyros Bertermann) ein vielgestaltiger Menschen-Kosmos auftut. Wie ein zappelnder Fisch mutet die erste genau abgezirkelte Bewegung einer Tänzerin an. Alle nachfolgenden Auftritte aus Soli, Duos und Gruppe wirken wie klar formulierte Behauptungen zu einer Zeit, in der geniale Musik verläuft. Ein offener Platz, in dem klassisches Tanzvokabular mit Aplomb gebrochen wird, mit abrupten Akzenten Achsen verschoben werden, in urbanen Moves der Körper vom Boden hochgestemmt oder simpel die Wirbelsäule aufgerichtet wird. Spitzenschuh und flacher Fuß, Alles ist möglich. Mitunter ein Finger, der nach draußen zeigt, Petit battements, die mit Ratmansky korrespondieren, auch eine Handgeste von Traurigkeit. Das eindeutige Übersetzen des trillernden Klaviers in Trippeln auf der Bühne ist gleichermaßen verführerisch wie banal. Das präzise vorbereitete Ensemble, durchwegs in schwarzen kürzeren oder längeren Hosen mit zarten Blusen (von Hélène Vergnes), scheint angestrahlt vom Giganten Beethoven, dem nichts anzuhaben ist.

Weitere Vorstellungen des Wiener Staatsballetts in der Volksoper mit Begegnungen: 7., 12., 22., 27. Februar sowie 4. und 9. März.

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