Demis Volpi

Der Schleier ist gelüftet

Das Hamburg Ballett bekommt ab der Spielzeit 2024/25 einen neuen Intendanten. Demis Volpi übernimmt ab 2024 die renommierte Kompanie

Es war ein gut gehütetes Geheimnis, jetzt sind die Würfel gefallen: Demis Volpi, Ballettdirektor beim Ballett am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, wird der Nachfolger von John Neumeier in Hamburg.

John Neumeier und Demis Volpi bei der Pressekonferenz

 

Die Spekulationen schossen seit Monaten wild ins Kraut: Wer würde das schwere Erbe von John Neumeier antreten, der nach legendären 50 Jahren zum Ende dieser Spielzeit die Intendanz des Hamburg Ballett abgeben sollte? Jetzt hat das Munkeln und Wähnen ein Ende: Demis Volpi (36), seit 2020 Ballettdirektor und Chefchoreograf des Ballett am Rhein Düsseldorf/Duisburg, wird die Hamburger Kompanie übernehmen, Lloyd Riggins bleibt Stellvertreter und übernimmt zusätzlich die Position als Kurator und Experte für Neumeiers über 160 Werke umfassendes Oeuvre. Volpi kommt allerdings nicht schon zur nächsten Spielzeit, sondern erst in zwei Jahren, mit Beginn der Spielzeit 2024/25. Bis dahin verlängert John Neumeier nochmal um ein Jahr – ausnahmsweise.

51 Jahre Ballettintendanz höre sich jetzt nicht mehr so rund an wie 50 Jahre, aber „wir sprechen jetzt von 50 Jahren und einem Epilog“, kommentierte der Noch-Intendant sichtlich bewegt bei der überstürzt einberufenen Pressekonferenz im Hamburger Ballettzentrum diese Entscheidung. Er habe sofort zugestimmt, noch ein Jahr dranzuhängen, um einen klaren Übergang zu ermöglichen und allen Beteiligten nicht ein Jahr der Vakanz und Ungewissheit zuzumuten. Mit der Entscheidung für diesen Nachfolger zeigte sich Neumeier hochzufrieden: „Ich bin der Meinung, dass jede Kompanie ein eigenes Gesicht haben sollte und vertraue darauf, dass Demis Volpi das Hamburg Ballett bewahrt und es mit einem anderen, einem neuen, aber wiederum unverwechselbaren Gesicht in die Zukunft führt.“ 

„Was John Neumeier hier in 50 Jahren geschaffen hat, hatte Auswirkungen auf den Tanz weltweit und ist eine Inspiration für Künstler*innen aller Art“, kommentierte Demis Volpi, fast noch etwas überwältigt von der großen Aufgabe, die da jetzt vor ihm liegt. „Er hat etwas geschaffen, was es in der Tanzgeschichte vorher nicht gab und wohl auch nicht mehr geben wird. Dass man mir das Vertrauen entgegengebracht hat, diese Aufgabe zu übernehmen, ehrt mich sehr.“ Die Chance, einem Künstler nachzufolgen, der diese Kompanie, die Stadtgesellschaft und ein Publikum aus der ganzen Welt rund ein halbes Jahrhundert lang geprägt und inspiriert habe, sei einfach einzigartig: „Ich freue mich sehr darauf, das reiche, von John Neumeier geschaffene Repertoire lebendig zu halten, neue tänzerische Sichtweisen auf unsere Welt zu suchen und zu zeigen und auch meine eigene choreografische Sprache weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit der Kompanie und dem Hamburger Publikum die Zukunft des Hamburg Ballett zu gestalten, soll für uns alle eine aufregende und inspirierende Erfahrung werden.“

Für ihn sei es jedoch auch sehr wichtig gewesen, dass er seine Verpflichtungen in Düsseldorf noch erfüllen könne: „Es gibt viele, die nur meinetwegen dorthin gekommen sind. Nach zwei Jahren wollte ich nicht sagen, dass ich vorzeitig gehe.“

„Sie sehen einen glücklichen Kultursenator vor sich“, kommentierte Carsten Brosda in der ihm eigenen eloquenten Art das Geschehen. „Viele meiner Vorgängerinnen waren froh, dass dieser Kelch an ihnen vorbeigegangen ist…“ Er selbst habe auch mal eine Nacht nicht so gut geschlafen, jetzt sei er mit dem Ergebnis jedoch hochzufrieden. Die einjährige Übergangsphase ermögliche einen sanften Wechsel von der Ära Neumeier zur Intendanz von Demis Volpi, der nun Zeit genug hat, seine erste Spielzeit sorgfältig zu planen, das Ensemble kennenzulernen und sich mit den Hamburger Verhältnissen vertraut zu machen. Der Bruch wäre sonst doch etwas sehr drastisch gewesen.

Schon vor einem Jahr hatte die Kulturbehörde eigens dafür eine Findungskommisson eingesetzt, der neben dem Kultursenator namhafte Ballettdirektor*innen aus aller Welt angehörten, z. B. Tamas Detrich, Intendant des Stuttgarter Balletts, Ted Brandsen, Direktor des Het Nationale Ballett der Niederlande in Amsterdam, Brigitte Lefèvre, ehemalige Primaballerina und von 1995 bis 2014 Direktorin des Balletts der Pariser Oper, um nur einige zu nennen. Es sei „kein normaler Findungsprozess“ gewesen, sondern „eine schier unmögliche Aufgabe, für jemanden, der 50 Jahre lang an der Spitze gestanden hat, überhaupt einen Nachfolger zu finden“, meinte Brosda. Die Neubesetzung sollte ja „keinen Bruch darstellen“, keinen kompletten Neuanfang. Dieser „Kindergartenglaube“ hätte jeder Vernunft widersprochen. Es sei vielmehr darum gegangen, „die ganz besondere Kraft und den Geist der Kompanie zu bewahren“ und trotzdem eine Evolution zu ermöglichen: „Es gab viele internationale Kandidat*innen, jetzt haben wir den besten, den wir finden konnten!“ Die Kommission sei beeindruckt gewesen von Demis Volpis Lebenslauf, „vor allem vor dem Hintergrund der Sensibilität, mit der er erfasst, was die Hamburger Kompanie ausmacht und wie man sie weiterentwickeln kann im Sinne einer Evolution dieses sehr besonderen Balletts. Wir sind zuversichtlich, dass das eine sehr spannende Zeit wird und gleichzeitig die Werke John Neumeiers bewahrt werden.“

Demis Volpi schuf als Choreograf u.a. Werke für das American Ballet Theatre, das Ballet de Santiago de Chile, das Ballet Nacional del Sodre in Uruguay, das Lettische Nationalballett, das Ballett Dortmund, die Compañia Nacional de Danza de México und das Ballet Vlaanderen. Auch mit dem Bundesjugendballett hat er bereits gearbeitet. Von 2013 bis 2017 war er Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts, für das er unter anderem die Ballette „Krabat“ und „Salome“ entwickelte. 

In Buenos Aires geboren, wurde Demis Volpi zuerst am Instituto Superior de Arte des Teatro Colón ausgebildet. Seine weitere Ausbildung erhielt er an Canada‘s National Ballet School in Toronto und an der John Cranko Schule in Stuttgart. Anschließend wurde er in die Kompanie des Stuttgarter Balletts aufgenommen.

Volpi hat für seine Arbeiten viele internationaler Auszeichnungen erhalten, darunter den Konex Award der gleichnamigen Stiftung in Buenos Aires, er war „Nachwuchskünstler des Jahres“ der Zeitschrift Opernwelt und erhielt den Deutschen Tanzpreis Zukunft des Aalto Theaters Essen. Er war außerdem für den Prix Benois de la Danse und die International Opera Awards nominiert.

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