„She Legend“ von Rykena/Jüngst

„She Legend“ von Rykena/Jüngst

Bitte weiter so!

Eröffnung der Tanzplattform 2022 in Berlin

Durchaus amüsant: zwei „Heldinnen“ in einem Universum des Weiblichen im HAU3 und ein beturnschuhtes Energiebündel im Deutschen Theater. Und niemand nimmt sich zu ernst. So darf Tanz gerade auch in ernsten Zeiten sein.

Berlin, 17/03/2022

Es darf gelacht werden. Man muss sich nur trauen. Und Lust darauf haben momentan offenbar viele. Bereits am gestrigen Nachmittag war das HAU3 vollgepackt bis unter die Decke. „She Legend“ von Lisa Rykena und Carolin Jüngst hat dort für das Publikum ein drolliges Universum aufgeschäumt, das mit harmlos säuselnden Strandgeräuschen aus den Boxen von Anfang an eine falsche Fährte gelegt hat. Der weiße Tanzboden in der Mitte wurde von beiden Performerinnen umgarnt wie ein Sanktuarium. Darüber schwebte still und erhaben eine glänzende Dreiecks-Skulptur, die ohne große Herausforderung als ein Symbol des Weiblichen lesbar ist.

Rykena und Jüngst üben sich zunächst in übertriebenen, albern hohlen Posen. Authentizität bleibt hier draußen vor der Tür. Hier gibt’s nichts Echtes, Wahres. Windgeräusche, ein dumpfes Grollen. Und jede für sich. Das ist leicht absurd, getragen, langsam, aber ohne Würde. Durchaus grotesk. Im hinteren Bereich der Bühne steht wie vergessen eine Art weißer Kasten mit einer Öffnung in der Mitte. Da hinein kann man auch mal seinen Kopf versenken, wenn schon kein Sand da ist.

Was erst ziellos erscheint, entwickelt sich dann doch zu einem Miteinander. Sie brauchen sich beide, in dieser Welt, die so gar keine Orientierung zu bieten scheint. Zwar trauen sich beide schließlich auf das reine Weiß des Bodens, nur entpuppt sich dessen Begrenzung doch nicht als eine Linie zwischen Hier und Dort, Innen und Außen. Der Raum bleibt fremd, also auch beide sich selbst. Da suchen sie zwar Trost in einer innigen Umarmung, kommen damit aber auch nicht weit. „The world is in trouble!“ Große Worte, schnell gedacht. Jeglicher Sinn scheint flöten gegangen zu sein. Sie versuchen es trotzdem. Geräusche einer Großstadt gehen in erfrischend alberne Schmatzgeräusche über. Die Comic-Atmosphäre entlastet immerhin ein bisschen von der Schwere dieser aussichtslosen Sinnsuche.

Die stille Skulptur wird angebetet wie eine weise Herrscherin. Zum Leben erwacht sie sogar und rotiert vorsichtig um die eigene Achse. Davor kann man sich nur auf den Boden werfen. Aus dieser Eucharistie-Feier gehen beide Performerinnen mit laut klopfenden Herzen hervor. Nur dass sie es jeweils in der Hand halten. Dieses starke Lebenszeichen bringt ein wenig Trost, die Entlastung will anhalten. Und das Publikum schmunzelt über das klägliche, aber doch so empfindsam menschliche Duo, das es einfach nicht lassen kann, nach einem Sinn zu suchen.
Mehr dazu auch in unserer Kritik zu ("She Legend") vom 27. Juli 2020.

Sinnsuche hat am Abend auch die offizielle Eröffnung der Tanzplattform im Deutschen Theater gebracht, natürlich, wie hätte es auch anders sein können, unter tagesaktuell politischer Geste. Während am Hauptbahnhof Geflüchtete in Empfang genommen wurden, fragte Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer von der Bühne herab, ob wir gerade jetzt feiern dürften. Kurz zuvor klang noch aus der gleichen Richtung John Lennons „Give peace a chance“ in den Saal. Das ist nicht einfach zu ertragen, keine Frage. Aber die Antwort lautete trotzdem: Ja, wir dürfen. Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, plädierte in ihrer Rede sogar noch deutlich leidenschaftlicher für ein Müssen, nicht nur ein Dürfen. Von der Kraft und der Würde des Tanzes als Kunstform sprach sie, von der Kunst als Grundnahrungsmittel der Demokratie. Selbst im Rang saß da wohl niemand, der ihr widersprochen hätte.

Was genau sie damit gemeint haben könnte, zeigte im Anschluss mit berückendem körperlichem Einsatz Daniel Conant, der in Turnschuhen dem Publikum mit einem lockeren Schuhplattler eine lange Nase drehte. Dunkles Basecap, gelbes Shirt, kurze rote Hose: Der kommt direkt von der Probebühne, oder? Der Titel „Tanzanweisungen“ lässt auch Halbgares vermuten. Und tatsächlich bastelt die Choreografie von Moritz Ostruschnjak einen Tanzstil nach dem nächsten aneinander und ineinander. Da gibt es vordergründige TikTok-Momente und Musik-Video-Ästhetik, die vereinzeltes Gekicher aus dem Publikum herauskitzeln konnten, genau immer dann, wenn sich Conant besonders eindeutig lesbar gab.

Er dribbelt in diesem halbstündigen Solo über weite Strecken ganz ohne akustische Untermalung über die Bühne und schafft mittels Beinarbeit seinen ganz persönlichen Rhythmus. Das wirkt vor allem banal. Man mag meinen, hierzu brauche es von Seiten des Publikums keine große Konzentration. Genau damit ist man aber ziemlich schnell auf dem Holzweg. Zwar kommen die überspannt rezitierten Anleihen an klassisches Ballettvokabular als klarer Hoax daher, aber spätestens beim abrupten Lichtwechsel mit unvermittelt einsetzender Musik wird klar: Ostruschnjak hat ein Konzept. Da schmalzen Simon & Garfunkel mit „Sound of Silence“ durch den Saal. Und Conant tanzt jeden einzelnen Takt aus. Ganz falsch, möchte man meinen. Aber genau das ist es ja. Diese Banalität ist keine. Ostruschnjak reflektiert auf der Meta-Ebene, wenn er Conant einfach nichts mehr tun, ihn sitzend auf der Bühne pausieren lässt. Er darf sie sogar verlassen und vom Rand aus in Augenschein nehmen. Und dann? Was kommt dann? Alles kippt zurück in die 80er. D.A.F.s „Mussolini“ fordert „Geh in die Knie / Und klatsch in die Hände / Beweg deine Hüften“. Ein eigener Stil? Oder bleibt alles doch beliebig? Der ungewöhnlich begeisterte Applaus hat vielleicht gezeigt, dass einigen im Publikum ein Licht aufgegangen ist. Oder es war einfach die Freude über die Möglichkeit des erlebten Miteinanders. So oder so hat Claudia Roth Recht behalten.

 

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