„Stay Romantic“ von Barbara Schmidt-Rohr.

Romantik der Krise

Premiere von Barbara Schmidt-Rohrs „Stay Romantic“ auf Kampnagel

Der dreiteilige Abend über die Suche nach Schönheit in der Krise überzeugt durch seinen konzeptionell starken und interdisziplinären Aufbau.

Hamburg, 27/05/2022

Die Menschheit ist gut im Verdrängen. Ganz besonders offenbart sich dies in Bezug auf die Klimakatastrophe. Jahrzehntelang bremsten Politik und Wirtschaft trotz einvernehmlich warnender Stimmen aus der Wissenschaft Maßnahmen in Richtung einer nachhaltigen und emissionsarmen Lebensweise aus. Und jetzt, da die katastrophalen Folgen unseres derzeitigen Handelns in den meisten Köpfen endlich angekommen sind, rücken sie angesichts anderer akut sichtbarer Katastrophen wieder in den Hintergrund. Als am 09. Mai der Bericht der Weltklimarats veröffentlichte, dass bereits im Jahr 2026 die Jahresdurchschnittstemperatur 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen könnte – dem Wert also, der laut Pariser Klimaabkommen von 2015 nicht dauerhaft überschritten werden soll –, war dies diversen Nachrichtensendungen lediglich eine Randnotiz wert. Auch in den darstellenden Künsten wünscht man sich bisweilen, dass auf Nachhaltigkeit in theatral verarbeiteten Stoffen aber auch in der Reflexion des Schaffens an Häusern und bei Festivals Einzug ein stärkerer Fokus gelegt wird. Und so ist es äußerst erfrischend, dass sich die Hamburger Künstlerin und Choreografin Barbara Schmidt-Rohr in ihrer neuen interdisziplinären Arbeit „Stay Romantic“ auf so eindrucksvolle Weise mit der Klimakatastrophe auseinandersetzt.

Der dreiteilige Abend beginnt mit einer Führung durch den Bühnenraum. In verschiedenen Stationen bebildern kleine Installationen (Bühne: Hanna Lenz) beispielsweise einen ausgetrockneten See, eine ausgestorbene Spezies oder vergiftete Pflanzen. Im Hintergrund thront ein Gemälde, das an den romantischen Maler William Turner angelehnt ist. Drei Performer*innen im Kindes- und Jugendalter geben eine kurze Einführung in die einzelnen Installationen – ein starkes und wichtiges Zeichen, hier die Generation sprechen zu lassen, die sich einerseits so stark wie noch keine Generation davor für Klimaschutz einsetzt und gleichzeitig von der Klimakatastrophe am meisten beeinträchtigt sein wird. Eine düstere Weltuntergangsatmosphäre wird kreiert, die in der anschließenden Videoinstallation von Jens Hasenberg wieder aufgenommen wird.

In „Stay Romantic“ blicken Barbara Schmidt-Rohr und ihr Team auf die ökologischen Krisen aus der Perspektive der Romantik. Realitätsflucht und die Liebe zur Natur treffen gleichzeitig auf deren Zerstörung und die Sicherheit, dass ein Entrinnen ins Fantastische nicht möglich ist. Und so werden in der beeindruckenden Videoinstallation beispielsweise Bilder von feiernden Menschen auf einem Konzert langsam in Bilder von brennenden Wäldern oder blutenden, verwitternden Körpern gemorpht. Untermalt wird das von der elektronisch-verzerrten, aber doch an Naturgeräusche erinnernden Livemusik von Catharina Boutari und Tom Gatza. Fragen werden aufgeworfen, wie wir es schaffen, uns trotz aktueller ökologischer und politischer Krisen in Feierei und gute Laune zu stürzen, und gleichzeitig aufgezeigt, dass ein wirkliches Entrinnen nicht möglich ist.

Vollkommen offenbart sich dieses Konzept in der abschließenden Tanz- bzw. Bewegungsperformance. Die Performer*innen bahnen sich ihren Weg durch den Bühnenraum in verzerrt-pulsierenden, noch entfernt an Tiere erinnernden, aber doch eher kreaturhaften Bewegungen. Immer wieder finden zwei von ihnen zueinander, versuchen sich in zärtlichen Gesten, lassen aber wie durch einen inneren Schmerz gelenkt wieder schnell voneinander ab. Ein Performer, gekleidet in ein schwarzes Spitzenoberteil, leitet zum melancholisch einsetzenden Klaviersound schön-schwingende Armbewegungen ein, bricht aber wie ein in Öl ertränkter Schwan kurz darauf wieder zusammen.

Es sind Momente wie diese, wenn weite Assoziationsräume eröffnet werden, die das simple Bewegungskonzept der Performance voll erstrahlen lassen. Nach ein paar Längen, in denen sich dieses Konzept – wahrscheinlich bewusst – ein klein wenig abnutzt, überzeugt vor allem das Schlussbild. Die Performer*innen versammeln sich und starren mit zitternden Körpern ins Publikum, während eine von ihnen zum kulminierenden Livesound den inneren Impuls bis ins Äußerste heraustanzt. Dann Black, alle gehen ab, nur ein Performer bleibt zurück und rundet den konzeptionell starken Abend mit einem melancholischen, leicht kitschigen, aber im Kontext der Romantik passenden Song („Simulation Swarm“ von Big Thief) ab.

 

 

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