Wo bleibt der Mensch?
TanzRAUM Nord und Ensemble of curious nature mit der Uraufführung von „Adrift / The Resonance“ in Bremen und Hannover
In „Adrift“, unter der Choreografie von Felix Landerer, folgt das neunköpfige Ensemble von Anfang an dem fordernden Puls der Komposition von Christof Littmann. Immer wieder formt es zunächst im Gleichschritt neue Linien im Raum, die sich auflösen, sich Sternbildern ähnelnd, zu kleinen runden Gebilden formen, um sich dann wieder zurück in die Linien zu finden. Klänge und Bewegungen verbinden sich und es scheint, als seien die Tänzer und Tänzerinnen durch magnetische Anziehung und eine übergeordnete Mechanik miteinander in Kontakt.
Einheitlich und geometrisch durchstrukturiert kommt die Choreografie über die Bühne. Die Kostüme in erdigen Farben, ein warmes Braun, Weinrot und Schwarz, vermitteln einen harmonischen Gleichklang, aber gleichzeitig auch etwas undurchdringlich Materielles, wie ein schwerer Vorhang. Mit der Rastlosigkeit der Schritte, ihren emsigen Bewegungen zum treibenden Klangteppich, erinnert diese Truppe auch an ein Ameisenvolk. Doch immer wieder fallen einzelne Personen aus dieser Bewegungsmaschine heraus. Ein kleines Solo folgt, manchmal ein Duo. Die Gruppe aber geht gnadenlos weiter im Takt und nimmt die Herausgefallenen, wie in einem einprogrammierten Reparatur-Akt, beim nächsten Aufeinandertreffen wieder in den „Zahn der Zeit“ auf.
Unentwegt ist die vorgegebene Ordnung darauf aus, Abweichungen oder gar Chaos zu vermeiden. Doch was passiert, wenn zunehmend Einzelne Tempo und Takt nicht mehr halten können, sei es beispielsweise durch Krankheit oder Alter? Auch diese Frage stellt sich Landerers vierzig-minütige Choreografie, die in faszinierender Ästhetik und einer überzeugenden Ensembleleistung wie ein (Zerr-)Spiegel unserer Zeit daherkommt. Einsam liegt eine Tänzerin zum Ende auf der Mitte der Bühne. Stille kehrt ein.
„The Resonance“ in der Choreografie von Helge Letonja knüpft an die kritische Gesellschaftsbetrachtung von „Adrift“ an. Was macht eine Gesellschaft, die auf Geschwindigkeit, Konsum und gleichgeschalteter Selbstoptimierung aus ist, mit den individuellen Bedürfnissen des Menschen nach Verbindung und Resonanz? Doch geht Letonjas Blick eher von innen aus. Und so spürt sich seine Choreografie, ausgehend vom Innenleben eines einzelnen Menschen, forschend in die Gefühlslage von Entfremdung und Vereinzelung.
Über den Gipfel eines felsartigen Gebildes schauend, sehen wir den sehnsuchtsvollen Ausdruck einer Klagenden zu den Klängen der kontemplativen Komposition „Voices“ von Max Richter aus dem Off. Vielstimmig hören wir zwischen den Klängen des Gesangs Sätze aus der Menschenrechtsverordnung der Vereinten Nationen.
Ist die Herangehensweise bei „Adrift“ durch äußere Struktur bestimmt, so tastet sich „The Resonance“ eher intuitiv in die Thematik. Fließend und weich sind dazu die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer wie das seichte Anlaufen und Ablaufen der Wellen am Meeresstrand. Die Kostüme und das Licht werden von hellen Blau- und Violett-Tönen bestimmt, über denen ein traumhaft-weißer Schleier wie Nebel liegt.
Größere Gruppenchoreografien wechseln organisch in kleinere Gruppen oder Duos und Solos. Die fast durchgängige Klage-Melodie sorgt für eine Art Dauer-Rauschen, das irgendwie im Körper weiterschwingt. Und im Kontrast zum ersten Teil dieses Tanzabends gehen die getanzten Linien bei „The Resonance“ in Runden und Bögen, wobei vieles so leicht zusammengefügt erscheint, wie bei einem dahin getupften Aquarell.
Alles zusammen – Klang, Bühnenbild, Tanz, Farben, Kostüme - macht die Choreografie auch märchenhaft. Doch wenn plötzlich das stachelige Fabelwesen, das vielleicht Verlorene aus der Isolation retten möchte, auch zauberhaft ist, so geschieht dies ohne klar erkennbare dramaturgische Anbindung. Dann driftet die Choreografie in Denkblasen und Längen ab. Am Ende ist die Klage vom Felsen dieselbe wie am Anfang – das ist in diesem Tanzstück traurig und schön zugleich.
Mit ästhetischer wie stilistischer Unterschiedlichkeit und Feinsinn spürt dieser zweiteilige Abend unserem Dasein in einer von Geschwindigkeit und Optimierung geprägten Ich-Welt nach, in der ein sehnsuchtsvoller Ruf nach Verbindung und Resonanz immer lauter wird.
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