Madison Young und Jinhao Zhang

"Cinderella" von Christopher Wheeldon. Tanz: Madison Young und Jinhao Zhang

Tanzen ist Gold wert

Mit "Cinderella" von Christopher Wheeldon und dem Bayerischen Staatsballett hat ein Ballett der Superlative seine Premiere in München

Ob Aschenputtel, Cinderella oder Cenerentola - dieser Stoff, aus dem nicht nur Walzerträume sind, sorgte für Begeisterungsstürme im nahezu ausverkauften Münchner Nationaltheater.

München, 25/11/2021

Christopher Wheeldon, der zur Zeit in New York ein Michael Jackson-Musical am Broadway produziert, konnte deshalb nicht persönlich miterleben, wie sein opulentes Mammutwerk ein großes Opernhaus buchstäblich ganz aus dem Häuschen gebracht hat. So mussten auch die die Endproben von „Cinderella“ ohne den Choreografen Wheeldon vor Ort stattfinden. Die Technik machte es möglich, per Video den Probenprozess so eng und präzise aufeinander abzustimmen, dass Wheeldons Ideen 1:1 auf Münchens Bühne umgesetzt werden konnten. Die Verantwortlichen hinter der Technik waren die 3 Ballettmeister der allerersten Garnitur, die sich auch mit der Einstudierung von Wheeldons Werken andernorts, darunter am Bolschoi verdient gemacht haben und langjährige Vertraute des Choreografen und Spezialisten sind. Gemeint sind Jason Fowler, Jonathan Howells und Charles Anderson, die ihre verantwortungsvolle Aufgabe in beeindruckender Weise wahrgenommen haben.

Entscheidenden Anteil an dem fulminanten Erfolg haben neben dem jederzeit exakt tanzendem Ensemble und den Solist*innen der Dirigent und Prokofjew-Kenner Gavin Sutherland, der bei Bedarf auch im Sinne des Komponisten fehlende oder unvollständige Passagen ergänzt. Mit den Musikern des Staatsorchesters hat das Ballettensemble einen adäquaten Partner - und umgekehrt.

Als hilfreich, inspirierend, informativ und kurzweilig erwies sich die von Serge Honegger außerordentlich lebendig und souverän moderierte Einführungsveranstaltung knapp eine Woche vor der Premiere. Zudem gab es ein Gespräch mit Jason Fowler, Jonathan Howells, Charles Andersen und dem Dirigenten Gavin Sutherland. Darüber hinaus wurden Videoclips von Probenausschnitten gezeigt, beispielsweise die „Vier Schicksale“, denen eine zentrale Bedeutung in diesem Märchen zukommt und an Neumeiers „A Cinderella Story“ erinnert: Sind es bei Neumeier die vier Vögelgeister, die Cinderella unter ihre Fittiche nehmen, so begleiten in Wheeldons Produktion (nach Perrault) die vier Schicksale (Nikita Kirbitov, Vladislav Kozlov, Sergio Navarro und Robin Strona) Cinderella (Madison Young). Mit ihrer erstaunlichen Kondition, Akrobatik, Sprungkraft und Wandlungsfähigkeit eroberte das Männerquartett das Publikum und bildete einen Kontrast zur mädchen- und märchenhaften, demütigen, zarten und zugleich ausdrucksstarken Cinderella, die insbesondere in der rauschenden Ballszene auch die Koketterie, die diese Rolle am Ballabend verlangt, mit Leben füllen konnte.


Auch die Grabszene gleich zu Beginn des Märchens erinnert an Neumeier, wenngleich Wheeldons Produktion eine eigenständige Handschrift trägt. So geht Wheeldon gern auch über die Grenzen des klassischen Balletts hinaus und lässt sich von der Welt des Musicals inspirieren.

Beachtlich sind die Kinderszenen mit Cinderella (Aurelia Zumklei), sowie dem Prinzen (Jules Düsener) und Benjamin (Matthäus Steinmetz), die neben tänzerischer Grazie und Sprungkraft bereits über schauspielerisches Talent verfügen. Zu den Höhepunkten gehören die beiden garstigen Stiefschwestern.
Von unglaublichem Esprit, Witz und Dauer-Schalk im Nacken sind die beiden temperamentvollen, sich durchweg streitenden und zickigen Stiefschwestern Edwina (Elvira Ibraimova) und Clementine (Bianca Teixeira), die zudem keine Gelegenheit auslassen, Cinderella buchstäblich in den Dreck zu ziehen. In ihrer widerlichen, überzeichnenden Art mit Slapstick-Elementen sind sie ein Quell ständigen Ärgernisses - und erfüllen somit exakt dem hohen Anspruch dieser Choreografie.

Mit unglaublicher Leichtigkeit, perfekter Disharmonie und Beinah-Verknotung ziehen die Beiden sämtliche schauspielerischen und tänzerischen Register, die ihresgleichen suchen. Präsentiert wird Tangoartiges, Einwärtsspitzentanz - trotz erheblicher Verletzungsgefahr.

An Ideenreichtum mangelt es weder der Bühnenausstattung noch in der Lichtregie, z.B. wenn der magische Baum je nach Jahreszeit in stimmungsvolle Farbensinfonien getaucht wird und ein Herbstwind über die Bühne streicht, der die Blätter in Bewegung bringen lässt. Dass seltsame Waldkreaturen auftauchen, ist bereichernd und sorgt wieder einmal für heitere Überraschung. Wenn dann aus dem Nichts eine Kutsche mit Pferdeköpfen erscheint, die Cinderella zum Ball bringt, dann ist das erhebende Illusionsmalerei pur.

Eher desillusionierend für Prinz Guillaume (Jinhao Zhang) ist die Porträtgalerie der Heiratskandidatinnen, die sich an Hässlichkeit nur so übertreffen - Schmunzeln ohne Ende. Prisca Zeisel ist ein Glücksfall für die Rollenbesetzung der bösen Stiefmutter, die aus Verzweiflung der schwindenden Heiratschancen ihrer Töchter im Alkohol Trost findet und über die Bühne torkelt.

Im Gegensatz dazu schweben Cinderella und ihr Prinz über das Parkett, vielleicht auf Wolke Sieben. Anzunehmen ist es jedenfalls, denn für Jinhao Zhang scheint es keine Schwerkraft zu geben. Vielmehr bilden Madison Young und Jinhao Zhang eine vollkommende Einheit.

Hier ist alles Gold, was glänzt - zumindest in dieser rauschenden Ballnacht, bei den immerhin 360 opulenten und prächtigen Kostümen und beim goldenen Schuh von Cinderella. Mögen die vier Schicksale, die mit ihrem Zauber Cinderella geleitet haben, ihren Zauber auch auf die Künste legen. Denn das wäre Gold wert.

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