Filmszene aus "Fly"

"Fly" von Katja von Garnier

Tanzen als Überlebensstrategie

Mit "Fly" hat sich die Regisseurin Katja von Garnier den Traum eines ungewöhnlichen Tanzfilms erfüllt.

Der Film erzählt die Geschichte von Außenseitern in Berlin, die durch ihr Talent zur Bewegung zueinander finden und lernen, sich durch Tanz auszudrücken. Kinostart ist der 14. Oktober 2021.

Berlin, 29/10/2021
Bruchstückhaft holen traumatische Erinnerungsfetzen Bex (Svenja Jung) ein. Die junge Berlinerin mit provokanter Schnauze hat auf einer Spree-Brücke einen Unfall verschuldet und dabei einen Menschen schwer verletzt. Im Gefängnis, außer Stande den ihr durch die Anwältin (Katja Riemann) anempfohlenen Brief einer Entschuldigung zu schreiben, quälen sie drastische Visionen von in ihre Zelle eindringenden Wassermassen.

Eine griffige Metaebene, die sich als roter Faden stringent durch den gesamten Filmplot dieser dramatisch-handfesten Geschichte über das Zurückfinden in ein besseres Leben zieht. Konterkarierendes Element ist das Feuer. Es symbolisiert den von Ava (Jasmin Tabatabai) noch unverarbeiteten Tod ihres Bruders. Die coole Frau war früher selbst namhaft im Milieu des Streetdance verwurzelt, in das hier Vartan Bassils Berliner „Flying Steps“ – bekannt aus ihren Shows „Red Bull Flying Bach“ und „Red Bull Flying Illusion“ – grandios einführen. Zudem ist Ava daran gescheitert, der Szene zu einem eigenen Zentrum als Proben- und Aufführungsort zu verhelfen.

Als das Rehabilitierungsprojekt ihrer Freundin Sara (herrlich als idealistische Sozialarbeiterin: Nicolette Krebitz) ins Wanken gerät, lässt Ava sich überreden, den Job einer taffen, impulsiven Mentorin und mit Gefängnisinsassen arbeitenden Tanzdozentin zu übernehmen. Prominente Orte Berlins werden dabei zu atmosphärisch tragenden Schauplätzen.

Die von Schauspielerin Svenja Jung mit Aplomb gespielte Hauptfigur Bex droht unter der Last ihrer Schuld zu versinken. Sie kann nur – sensationell in Szene gesetzt – dagegen antanzen. Starke Solos im nassen Element, die Svenja Jung – wie viele weitere choreografisch erzählte Schlüsselmomente – fabelhaft selbst verkörpert. Flankiert von einer schauspielerisch überzeugenden Riege bester Urban-Dance-Tänzer, die charismatisch vom Hip-Hop-Freestyle-Weltmeister Ben Wichert in der Rolle des auch mal Rilke zitierenden Jay angeführt werden.

Alle haben in ihrem Leben etwas verbockt. Nun treffen sie – ein verrückter, emotional unberechenbarer Haufen – aufgrund ihres Talents für Bewegung aufeinander. Dadurch lernen sie, mit Verantwortung umzugehen, Gruppenzusammenhalt wert zu schätzen und sich mittels Tanz auszudrücken. Ein Gefühl wie Fliegen, das in einer wunderbaren Szene auf dem Amt gipfelt, bei der sich die Musik der Brüder Ketan und Vivan Bhatti aus Umgebungsgeräuschen entwickelt. Für die Erkenne-Dich-Selbst-Aufgabe, die es im Bode-Museum zu lösen gilt, steigert sich Smetanas „Moldau“ gar zum Street-Dance-Sound.

Mit „Fly“ hat sich Regisseurin Katja von Garnier den Traum eines ungewöhnlichen Tanzfilms erfüllt – nach lange zurückliegenden Kassenerfolgen wie „Abgeschminkt“, „Bandits“ und ihrer „Ostwind“-Filmreihe. Gedreht wurde noch bevor die Corona-Pandemie den Kunstschaffenden Verbote auferlegte. Das bildgewaltige Filmerlebnis reißt mit und überzeugt auf vielschichtige Weise. Auch wenn das Ende der tänzerisch wie filmisch überaus eindrucksvoll und choreografisch-schauspielerisch gut ausbalanciert erzählten Geschichte letztlich nicht ganz ohne Gruppenerfolg-Happy-End-Kitsch auskommt. Man sieht es der Clique aus anfangs sturen Einzelkämpfern nach. So glaubhaft tiefschürfend und wahrhaft witzig wird uns ihr Weg erzählt.

Kommentare

Noch keine Beiträge