"Four Seasons"

"Four Seasons" von Ester Ambrosino

Tanz mit Laubbläser

Das Tanztheater Erfurt präsentiert mit „Four Seasons“ eine musikalische Neubearbeitung von Vivaldis ikonischem Werk

Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, erstmals veröffentlicht 1725, gehört zu den bekanntesten Stücken der klassischen Musik. Der Gang durchs Jahr mit Streichern und Cembalo bietet sich daher auch als hübsche Grundlage für tänzerische Ausflüge an.

Erfurt, 15/11/2021
Was Choreografin Ester Ambrosino am Wochenende mit dem Tanztheater Erfurt unter dem englischen Titel „Four Seasons“ präsentiert hat, geht über ein Tanzprojekt zu klassischer Musik hinaus. Das liegt vor allem an Miron Raczka, der ausgehend von Vivaldis Konzert(en) ein komplett neues Stück für Streicher und Vibraphon erarbeitet hat, in dem die barocken Sätze lediglich als aufblitzendes Hintergrundrauschen erscheinen, das hier und da mal ein hörbares Echo im Heute hinterlässt. Zudem spielt nicht nur dieses Quintett live, sondern wird kombiniert mit Computersamples und diversen Soundkulissen. Die Stimmungen der einzelnen Jahreszeitenparts aber bleiben erhalten, und Ambrosino setzt in ihrer Choreografie auf vier klar unterscheidbare Parts.

Veronica Bracaccini, Maya Gomez, Javier Ferrer Machin und Daniel Medeiros übersetzen diese Stimmungen in tänzerische Bewegung auf der weißen Bühne in der Erfurter Zentralheize. Es beginnt mit einem sanft fließenden Frühling. Große bunte Tücher lösen sich von den Körpern der Tänzer, leicht und spielerisch tanzen Bracaccini und Gomez über die Bühne und schieben viele kleine hohle Würfel mit Pflanzen darin hinfort, nachdem Bracaccini unter Niesen ein Ei gelegt hat. Schließlich sind alle Knospen aufgegangen, und die beiden Tänzer steigen als Kraft des Sommers mit ein. Die Bewegungen werden kraftvoller, weniger tänzelnd, sondern fordernd. Den Sommer markieren Gegensätze. Mit blumengeschmückten Badekappen stehen zunächst die klassischen Sommerfreuden im Vordergrund, die Natur erstrahlt in voller Kraft, aber die drü-ckende Hitze sorgt ebenso für Ermüdung. Medeiros und Gomez tanzen dies in einem kleinen Duett mit goldenen Strohgarben, wobei sie als eine Art Erntegöttin mit Anleihen an Vogelscheuchen und er als kraftstrotzender Herkules sich wie zwei Magneten gleichermaßen an- und abstoßen, sich energetisch aneinander aufladen und entleeren.

Eindrucksvoll ist der Übergang zum Herbst. In großen Würfen verteilen die Tanzenden rote Blätter auf der Bühne und holen auch drei Musiker dazu, mit denen sie kleine Skulpturen formen. Doch dieses letzte Aufbäumen führt dann konsequenterweise auch zu Depression und Angst, und inmitten des Blätterbodens wird es geradezu melancholisch, bis Javier Ferrer Machin als Winter im weißen Pelzmantel mit dem Laubbläser Platz für seine Jahreszeit schafft. Er baut sich ein Plateau auf der Bühne, doch dieses schmilzt mehr und mehr ab, indem die anderen drei die Kästen entfernen, was sich dann auch noch als Allegorie auf den Klimawandel entpuppt.

Hier und da setzt Ambrosio auch auf das gesprochene Wort, was aber nur bedingt aufgeht, da ohne Mikrofonverstärkung und gegen die Musik vieles schlicht nicht zu verstehen ist, lediglich die kakophonischen Sprechteile, bei der alle wiederholend durcheinander reden, verfehlen ihre Wirkung nicht. Insgesamt ist „Four Seasons“ ein flotter und sehenswerter Tanzabend mit vielen kleinen, wohl portionierten Effekten. Klar gesetzte Motive und Stimmungen transportieren zusammen mit der Musik von Raczka eine zeitgenössische Variante des klassischen Themas. Da braucht es dann auch kaum noch Vivaldi.

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