Spannende Unterspannung

Das Festival Euro-Scene in Leipzig eröffnet unter neuer Leitung von Christian Watty mit Trajal Harrels „The Köln Concert“ und „Einblicke“ der Fast Forward Company

Unterkühlter Minimalismus in edel monströsen Kostümen hier, Körper-Kanon-Kolonialität mit einem liegenden Schwanensee dort. Und das ist erst der Auftakt der Euro-Scene.

Leipzig, 03/11/2021
Der Neue ist da! Die 31. Ausgabe der Euro-Scene findet unter der künstlerischen Leitung von Christian Watty statt, der damit Ann-Elisabeth Wolff nachfolgt, die das Leipziger Festival für Tanz und Theater über viele Jahre entwickelt hat. Watty selbst saß einige Jahre im künstlerischen Beirat der Institution und weiß genau, auf was er sich einlässt. Eine glückliche Wendung gab es bereits im Vorfeld: Die Euro-Scene wird wieder institutionell vom Freistaat Sachsen gefördert, was immerhin eine gewisse finanzielle Grundsicherheit festschreibt.

Zu seinem Start präsentiert Watty dem Leipziger Publikum Trajal Harrels „The Köln Concert“ von der neuen Tanzcompany am Schauspielhaus Zürich auf der großen Bühne des Schauspielhauses Leipzig. Ein doppelter Start, denn es ist Harrels erste Arbeit dort und zudem eine Deutschlandpremiere. Kein schlechter Einstieg. Der Titel verweist auf das Stück des Pianisten Keith Jarrett. Doch bevor dessen fluider Klaviersound die zwei Tänzerinnen, drei Tänzer und Trajal Harrel selbst zur Grundlage der Bewegung wird, liefert Joni Mitchell den Soundtrack für ein sanftes Ankommen im Abend, auch hier Klaviermusik aber mit zerbrechlichem, beinahe schmelzendem Gesang. Auf der Bühne stehen fünf Klavierstühle und Trajal Harrels mit einem als Schürze umgebundenen Kleid. Wippend mit Bewegungen aus dem Oberkörper und agilen Armen beginnt die Vorstellung merkwürdig unterspannt. Es dauert eine Weile bis dieses minimalistische Setting, in das hin und wieder die anderen Tänzer*innen treten, einen Sog entwickelt, dann aber umso mehr.

Auch wenn die Musik zur alles gebenden Quelle des Tanzes wird und somit auch jede der vielen unmerklichen Wendungen in den Körpern reflektiert wird, schöpft Harrel aus weit mehr denn aus den Tönen des Klaviers. Seine Tänzer*innen agieren mit der kühlen Strenge von Models, und nicht umsonst ist eine Szene mit ebenso edlen wie monströsen Kostümen der Haute Couture (auch hier zeichnet Harrels verantwortlich) wie ein Laufsteg angelegt. Elegant, mit coolem, unnahbarem Blick agieren die fünf zusammen, doch eigentlich jeder für sich, was sich als Grundthema des Abends herausstellt. Einmal laufen die fünf in einer Art Kreis, ein Tanz-Karussell, aus dem immer einer zu einer kleinen Solo-Etude ausbricht. Mal zitternd, mal stolz gockelnd oder in einem leichten Schweben nehmen die Tänzer*innen die Nuancen der Musik auf und verstärken sie durch ihre Körper. Ein Zusammen mag daraus aber kaum erwachsen, auch wenn sich gegen Ende hin immerhin hier und da die Blicke treffen.

Die post-pandemische Situation kristallisiert sich hier als gesellschaftliche Formation im Tanz. Das lässt zwar einzelne Ausbrüche zu, wenn etwa Titilayo Adebayo ihre Braids durch die Gegend wirbelt, doch diese fungieren eher als Kontrapunkt denn als evolutionäres Moment. Wenn alle in angestrengter Coolness und in Schwarz gekleidet auf den Klavierstühlen sitzen wie in einem Salon, während eine Person um sie herumtanzt, dann ist das das emblematische Bild der Zeit, das Harrel hier zeichnet.

Der zweite Streich des Eröffnungsabends fand im Lofft stand. Hier präsentiert sich die Forward Dance Company, die für zwei Jahre lokaler Associate Artist sind – eine der programmatischen Neuerungen Wattys. In „Einblicke“ präsentiert die junge mixed-abled Compagnie Arbeitststände, die mit den Choreograf*innen Markéta Stránská und Alessandro Schiattarella erarbeitet wurden. Schiattarella, der das Showing eröffnet, hat dabei zu Körper-Kanon-Kolonialität gearbeitet und zeigt etwa einen liegenden Schwanensee oder lässt klassische Ballettklänge in zeitgenössischen Elektro-Pop münden. Das Ergebnis sind erste Skizzen, die durchaus Lust auf mehr machen: Schattenspiele, Persiflagen auf klassische Szenen wie die Fußwaschung. Stránská lädt direkt zu zwei geführten Improvisationen zum Raum und zum Thema Gleichgewicht, bei der die Körper der Tanzenden sich an- und gegeneinander stützen und über den Boden gleiten und lässt so das Publikum an ihrem Arbeitsprozess teilhaben.

Insgesamt ein gelungener Start in das neue Festivalzeitalter, mit dem Watty dem bisweilen etwas in die Jahre gekommen Festival einen neuen Impuls geben konnte. Mal schauen, wie der über den Festivalzeitraum trägt und welche weiteren Impulse die neue Leitung zu setzen weiß.

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