Charlie Prince in The Odor of the Elephants after the Rain (c) Screenshot

Charlie Prince in "The Odor of the Elephants after the Rain" 

Der Vorwurf an die Spiegelstadt

Der libanesische Choreograf Omar Rajeh liefert mit „The Odor of the Elephants after the Rain“ einen kraftvollen filmischen Monolog voller stiller Wut.

Mit seiner Company Maqamat hat Omar Rajeh seit 2002 eine international geschätzte Stimme aus dem arabischen Raum in der Welt des Tanzes etabliert. Von Frankreich aus wirft er einen Blick auf das Land, das nicht mehr seins ist.

Beirut, 06/09/2021

Im eigenen Land gilt der Prophet nichts. Der Libanon, eigentlich Omar Rajehs Heimat, beschneidet die eigene Kultur zur Bedeutungslosigkeit. Die Citerne, die heimische Spielstätte seiner Company Maqamat in Beirut, wurde von den Behörden im August 2019 einfach so dichtgemacht. Gleich zu Beginn zeigt der Film „The Odor of the Elephants after the Rain“ aus schwindelerregender, ein bisschen irreal und bedrohlich wirkender Perspektive in der Draufsicht die Überreste dieser Vergangenheit, den Schriftzug des Theaters, der früher über dem Eingang hing. Die Schließung des Hauses war nur eine von etlichen Zäsuren, mittels derer den Künstler*innen der Hahn abgedreht wurde. Zuvor waren bereits alle internationalen Gelder durch die Regierung eingefroren worden. Die Künstler*innen kamen nicht mehr an ihre Gagen. Schlussendlich kehrte Omar Rajeh mit seinem Team schweren Herzens letztes Jahr mit Sack und Pack dem Land den Rücken zu. Zu wichtig war ihm einfach das, was er über die Jahre mühevoll erarbeitet hatte. Von Lyon aus lässt es sich besser atmen. Und überhaupt arbeiten, leben. Und dann kam auch noch, zu aller gesellschaftspolitischen Misere, im August 2020 die Explosion im Hafen von Beirut als verheerende Katastrophe hinzu.

Eigentlich heißt es ja „Don’t look back in anger!“. Ganz so einfach ist das aber eben nicht. Wie lassen sich Wut oder Verzweiflung künstlerisch verarbeiten? Für seinen Film ist Omar Rajeh noch einmal nach Beirut gereist. Die Verbindung in den Libanon wird er nicht abreißen lassen. Zu viel Identität liegt im eigenen Kulturkreis. Die Fragen, die er mittels dreier Solos in seinem Film aufwirft, sind so stumm wie beredt, so konkret wie zutiefst menschlich. Dabei hat es das Produktionsteam geschafft, Beirut als Stadt ganz allgemeingültig, als Projektionsfläche und „Lebenspartner“ mit starker Bedeutung aufzuladen.

Immer wieder nimmt die Kamera aus der Draufsicht urbane Strukturen in den Fokus, denen durch diese Perspektive und die Reduktion auf zweidimensionale Flächen ihre eigentliche Funktion als Infrastruktur abhandenkommen. Was bleibt, sind Flächen, Muster. Dabei mischt sich typischer Großstadtlärm mit scharfkantigen, verfremdeten digitalen Klängen, die einen Grundton des Bedrohlichen, Entfremdeten mitbringen. Genau so verfremdet, verdreht, energetisch und ein wenig, so könnte man meinen, in die Verzweiflung kippend ist das Bewegungsvokabular in den drei Soli (Mia Habis, neben Omar Rajeh Künstlerische Leiterin von Maqamat, Charlie Prince und Omar Rajeh selbst). Das ist absolut stark, zumal der tänzerische Dialog mit der jeweiligen architektonischen Kulisse immer wieder komplexe Bilder entstehen lässt, die den Film zum Augenschmaus machen.

Da werden Krämpfe sichtbar, die wie erneut durchlebte Traumata wirken. Die Dramaturgie der Kamera kurbelt diese Wirkung ordentlich an. Handelt es sich also tatsächlich um ein Agieren des Menschen versus die Stadt? Hier entsteht weniger etwas gemeinsam mit der Stadt als vielmehr trotz der Stadt. In einer kameratechnischen Überblendung zeigt ein Mural „Beirut is screaming“. Dieses Schreien ist in den Bewegungen nicht zu übersehen und braucht genau deshalb keine lauten Töne. Ohne den Menschen ist die Stadt leer. Nur der Mensch macht die Stadt erst zu dem, was sie ist. Was also bleibt für alle Beteiligten in Beirut, nachdem sie die Stadt verlassen haben? Was bleibt für Beirut?

Der Schluss des Films gehört den Gedanken der libanesischen Aktivistin Rana Khoury, die von der Angst vor dem Vergessen spricht, von der Angst davor, zur „Realität“, zu einer „Normalität“ zurückzukehren. Zu stark könnte das Erlebte gewesen sein. Von der „totalen Absurdität“ spricht sie, in der die Libanes*innen im Land leben. Von der Angst, aus der „Revolution“ nichts mitgenommen zu haben. Es ist die Angst, dass nur noch „hohle Schädel“ zurückbleiben. Genau dagegen sträubt sich dieser Film äußerst erfolgreich.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge