„Sleeping Beauty“ von Alejandro Cerrudo. Tanz: Frank Fannar Pedersen und Ayako Nakano

„Sleeping Beauty“ von Alejandro Cerrudo. Tanz: Frank Fannar Pedersen und Ayako Nakano

Die schlafende Schöne

Alejandro Cerrudos „Sleeping Beauty“ wird beim Ballett Basel uraufgeführt

Den Titel des altbekannten Märchens und Ballettklassikers „Sleeping Beauty“ nimmt Alejandro Cerrudo in seinem neuen Stück wörtlich. Seine Aurora ist eine schlafende junge Frau, der das Publikum in ihre Träume folgt.

Basel, 12/03/2016

„Stellen wir uns eine Zeit vor, in der es keine Zeit gibt. Nur Bilder“, so der erste Satz des Programmhefts zu Alejandro Cerrudos „Sleeping Beauty“, der diese eineinhalbstündige Traumreise ziemlich auf den Punkt bringt. Eher assoziativ als textgetreu nähert sich der in Spanien geborene und in den USA arbeitende Choreograf dem Märchen von der verzauberten Prinzessin, die in einen hundertjährigen Schlaf fällt, und dann von ihrem Prinzen wachgeküsst wird. Cerrudos Aurora (Ayako Nakano) ist keine Prinzessin, sondern eine ganz normale junge Frau, die sich mit ihrem Freund Désiré (Frank Fannar Pedersen) bestens versteht und mit ihren Freundinnen ein ausgelassenes Leben führt. Soweit könnte das der Beginn einer üblichen Neuinterpretation des Ballettklassikers sein, doch dann schläft Aurora ein – ohne jegliches Zutun, einfach so, wie man eben schlafen geht und plötzlich eröffnen sich neue Welten. Wir tauchen ein in ihre Träume...

Bilder von großer visueller Kraft reihen sich aneinander, überlappen sich und lassen die Zeit stillstehen. Die große Bühne des Basler Theaters entfaltet in der Bühnengestaltung von Bruno de Lavenère (Licht David Debrinay, Video Etienne Guiol) eine Tiefenwirkung, in der Sichtbares und Unsichtbares, Wirkliches und Unwirkliches verschwimmen. Zwischen Vorhängen aus Eisenketten, spiegelnden Bühnenwänden und oszillierenden Videoprojektionen bewegen sich die TänzerInnen des Basler Ensembles, mal als Masse, mal nur zu zweit. Drehungen und Bewegungen in der Vertikalen bestimmen die Choreografie und entwickeln ihre ganz eigene Sogwirkung. Alle tragen Socken und gleiten im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne mit einer Leichtigkeit und Geschwindigkeit, die einen schwindelig werden lassen und zusammen mit der Musikcollage aus Werken von Tschaikowsky, Sibelius, Aubry und Glass (Musikalische Leitung Thomas Herzog) jeglichen Halt verwehren. Ein akustisch und optisch besonders beeindruckender Effekt entsteht, wenn der Vorhang aus Eisenketten in Bewegung kommt, klirrt und Wellen schlägt. Bedrohlich ist dieses Kettenklirren, denn keineswegs nur schön sind Auroras Träume, Jorge García Pérez führt sie als schwarzgewandete Carabosse auch durch albtraumhafte Passagen.

Doch am Ende erreicht Désiré, der sich auf einem Laufband am Rande der Bühne verausgabt, seine Aurora und befreit sie mit einem langen Kuss aus ihrer Traumwelt. Aurora, in ihrem unschuldigen weißen Kleid (Kostüme Karen Young) fällt ihrem Prinzen in einem schönen Pas de deux, das sich um einen nicht enden wollenden Kuss windet, um den Hals und ist wieder ganz das unbekümmerte Mädchen vom Anfang. Doch manchmal schleicht sich ein kurzer Moment des Erinnerns ein und sie stockt für einen Moment.

Alejandro Cerrudo, der seit 2009 als Hauschoreograf der Hubbard Street Dance Company in Chicago tätig ist, gestaltet einen Theaterabend, der zuerst für merkliche Unsicherheit im Zuschauerraum sorgte, dann aber doch eine atemlose Spannung erzeugte und mit langem Applaus belohnt wurde. Choreografisch interessant, aber nicht unbedingt beeindruckend, lebt diese Inszenierung in erster Linie von ihrer Visualität und ihrer spannungsreich und klug zusammengestellten Musik. Eine besondere Intensität erreicht Cerrudo allerdings in seinen Pas de deux – wunderbar getanzt haben Andrea Tortosa Vidal als Rotkäppchen und Anthony Ramiandrisoa als Wolf -, die eine große Stimmigkeit und feinfühlige Kommunikation zeigen.

Ob man diese Choreografie tatsächlich so theoretisch angehen sollte, wie im Programmheft mit Aufsätzen zu philosophischen Zeittheorien geschehen, oder ob man nicht einfach Cerrudo folgen könnte, der in einem Interview für das Programm mit folgendem Satz endet: „Ich bin überzeugt, Choreografien wirken auch ohne Entschlüsselung und Deutung – wie die Märchen auch. Sie folgen einer Eigenlogik, in die wir im besten Fall eintauchen und uns von ihr verzaubern lassen“, sei dahingestellt.

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