Folklore als Propaganda-Instrument

Wie der Diktator Franco den Folkloretanz für politische Zwecke missbrauchte

In ihrer Dissertation „Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee. Folklore, Nation und Geschlecht im Colonial Encounter“ untersucht Cécile Stephanie Stehrenberger die Rolle des Tanzes als Propagandamittel

transcrict Verlag, Bielefeld, 07/01/2014

Ein gewichtiges Buch (340 Seiten), das mit einer fast überbordenden Fülle an Material aufwartet. Allein die Bibliografie der beim transcript Verlag erschienenen Dissertation, versehen mit Quellen und Forschungsliteratur, umfasst 20 Seiten. Kein Wunder, beackert doch Autorin Cécile Stephanie Stehrenberger in „Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee“ Neuland. Mir ist jedenfalls keine umfängliche Schrift über dieses Thema in Deutschland bekannt. Am Beispiel von Gruppen der so genannten „Coros y Danzas (Gesänge und Tänze) de la Sección Femina de la Falange“ zeigt Stehrenberger nichts weniger als den Missbrauch von Kultur für politische Propagandazwecke. Um ihre Ziele zu erreichen, greifen die staatlichen Organisatoren Francos zu Manipulation, Verfälschung, frisierten Berichten etc. Francos Diktatur (1939−1975) soll in den Zeiten der Auflösung der Kolonien positiv verkauft werden, ungeachtet der Unterdrückung in den besetzten Gebieten, von Apartheid, Ausbeutung, von Folter, politischer Verfolgung und willkürlicher Justiz. „Die Tänzerinnen waren in einer politischen Mission unterwegs“, die das „franquistische Regime“ konsolidieren sollte, schreibt Stehrenberger. Bei den Auftritten handele es sich nicht um ‚harmlose’ Volkskunst, sondern um Politik.

Die Autorin greift detailliert die künstlerischen, soziologischen und politischen Aspekte auf und verdichtet sie zu einer Gesamtbetrachtung des „Colonial Encounter“. Sie legt „den Schwerpunkt der Untersuchung auf die „großen Auslandsreisen die die Folkloregruppen von 1948 bis 1960 unternahmen“ in einer „kritischen Phase der spanischen Kolonialpolitik“. Besonders hebt sie die Reisen hervor, die 1954 und1957 drei Gruppen aus Murcia und Cádiz in die damals noch spanische Kolonie Äquatorial-Guinea führten.

In Kapiteln wie „Akteure und Schauplätze“, „Die Tänzerinnen“, „Die Mission“ und „das Scheitern der Mission“ werden Strukturen und handelnde Personen beleuchtet. Entlarvend für die Zielrichtung war allein schon die Erarbeitung der „authentische(n) spanische (n) Folklore“, die zu einer der „wichtigsten Traditions-Erfindungs-Projekte der Franco Diktatur“ gehört. Stehrenberger enthüllt minutiös die Vorgehensweise. Ähnlich akribisch arbeitet sie sich durch die komplexe Thematik, so dass man am Ende die wesentlichen Züge dieser Propagandaaktionen mittels Tanz vor sich sieht.

Allerdings spielt bei Stehrenberger die exakte Darstellung und Beschreibung der Tänze (u.a.Fandango, Bulerias, Alegrias, Sevillanas) keine Rolle. Auch gibt es keine Fotos bis auf das Titelbild (wohl eine Sevillana). Vergleichbar sind die Coros y Danzas wohl mit den Versuchen anderer Diktaturen, auf diese Weise positive Stimmung im Aus- und Inland zu erzeugen. Man denke nur an die Folkloregruppen aus der ehemaligen Sowjetunion und dabei wiederum an die virtuosen georgischen Ensembles.

Das Verdienst von Stehrenberger ist es, diesen Hintergrund beispielhaft ausgeleuchtet zu haben. Quasi nebenbei entsteht ein Sittengemälde der Francozeit. In den Schoß fallen die Erkenntnisse nicht, sie müssen durch genaues Studieren des teils sehr trockenen wissenschaftlichen Textes erarbeitet werden. Eine populärwissenschaftliche Überarbeitung nach britischem Vorbild, unterhaltsam ohne Niveauverlust, ergänzt durch Bildmaterial, könnte das Buch tatsächlich zu einer „interessanten Lektüre für eine breite Leserschaft“ machen.


Francos Tänzerinnen auf Auslandstournee.Folklore, Nation und Geschlecht im „Colonial Encounter“
von Cécile Stephanie Stehrenberger
transcript Histoire, Bielefeld 2013
ISBN 978-3-8376-2284-3
32,80 €

 

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