Tanz in Bern
Tanz in Bern

Nobelpreisvergabe mit Nachgeschmack

Ein Zuschauer-Blog zu „Your Majesties“ von Alex Deutinger und Marta Navaridas

Eindrücke junger Zuschauer zur Vorstellung bei Tanz in Bern

Bern, 30/10/2013

Rechte Faust, linke Faust. Schlechter Krieg, „gerechter Krieg“. Ich wollte nicht in einer Position sein, solche Entscheidungen fällen zu müssen. Trotzdem nehme ich mir raus, zu sagen: Du lebst in Widersprüchen, schnauzbärtiger ausgestellter Obama, du lustiger. Und du bewegst dich keinesfalls nur so wie du das willst, sondern lässt dir Bewegungen einflüstern - glaub bloß nicht, dass ich das nicht sehe.
2009... da waren die USA vor kurzem noch das böse mächtige Bush-Kriegsland gewesen. Heute sind sie eher das Land, das in unsere Handys guckt und seinen Haushalt nicht auf die Reihe bekommt. So betrachtet ist das nicht unbedingt der schlechteste „Change“. Und trotzdem leuchtet es ein, was „Your Majesties“ vermitteln will: Eine Nobelpreisvergabe mit Nachgeschmack.
Fabian


Ein Mann im Anzug, weißem Hemd und weinroter Krawatte. Beginnt Englisch zu sprechen. Es erscheint mir wie eine Rede. Hilfe. Doppelte Aufmerksamkeit, mein Englischverständnis ist nicht der Hammer. Vor allem im Theater. Plötzlich erscheint hinter uns eine Frau. Was ich erkennen kann, ist, dass sie den Mann vorne auf der Bühne tänzerisch 'leitet'. Like the „Spiegelspiel“ in unserem Sprechunterricht. Mit grünen, blauen und roten Kärtchen erteilt sie ihm „Aufgaben“. Soll das darauf hindeuten, wie künstlich, choreografisch, sowie sprachlich solche Reden geplant und 'geleitet' sind?
Julian


Wenn ein Mann in Anzug eine Rede zum Volk hält, sind wir uns das gewöhnt. Doch wenn er anfängt, plötzlich schräge und abstrakte Bewegungen zu machen, sind wir erstaunt und verwundert. Er spricht von Krieg, davon wie wenig Soldaten und wie viele Zivilisten sterben und dabei bewegt er sich geradezu komödiantisch. Plötzlich taucht hinter den Zuschauern eine Frau auf und schnell wird klar, wer hier die Rede steuert. So beeinflussbar sind wir und halten die Präsidenten für große Redner, doch dahinter steckt immer eine knallharte Kalkulation. „Your Majesties“ ist eindrücklich, absurd und komisch zugleich.
Linda


Ein Mann mit einem gepflegten Kopf und einem gepflegten Anzug und einem Papierstoß in der Hand betritt die Bühne, auf der sich nur ein Stuhl befindet. Er spricht in Englisch zu uns, über Krieg und Frieden, wie sie sich ablösen und noch so einiges. Ich muss dazu sagen, dass ich über mein Englisch wirklich nicht sagen würde, dass es schlecht ist, aber es fällt mir schwer ihm zu folgen; ständig höre ich nicht, was er sagt, verstehe ab und zu ein Wort nicht und schweife deshalb ab. Nach und nach verändern sich seine Bewegungen, das heißt: es kommen überhaupt welche hinzu. Während er erst nur steht oder dann sitzt und seine Rede hält, höchstens mal mit einer Handbewegung oder einem Schwingen des Papierstoßes unterstreicht, was er da sagt, zuckt auf einmal sein Kopf, er verweilt in für einen Redner merkwürdigen Posen, dann hüpf er, hockt, rollt über den Boden. Und die ganze Zeit über spricht er. Erst viel später fällt mir die leger gekleidete Frau auf, die hinter uns, hinter den Stuhlreihen für das Publikum auf einer kleineren Bühne ihm scheinbar seine Bewegungen vorgibt oder eine farbige Karte zieht, die ihn dazu veranlasst entweder den Raum zu verlassen oder in die Zuschauerreihen zu gehen und Hände zu schütteln - wie ein Kandidat beim Wahlkampf? Doch mein Kopf ist zu wenig da für diese großen Worte und ihre großen Bedeutungen.
Kathi


Obama im Schauspielunterricht. Rhetorik + Gestik = Macht? Wer regiert und steuert hier eigentlich wen? Gespiegelt und geführt. Rote Karte und Handshake. Was für eine Rolle spielt Inhalt in Äußerlichkeiten? Der Krieg im Kostüm des Charmes. Die Aufführung bringt mich zum Lachen, Abschweifen und Geschocktsein.
Anne


Ein Stuhl - ein Mann im Anzug. Erstaunlich wie die optische Erscheinung am Anfang irritierte. Umso erstaunlicher fand ich es, als er das erste Mal aus dieser optischen Form rausbricht und locker seinen Fuß über die Stuhllehne schwingt. Oft ertappte ich mich dabei, mehr an seinen Bewegungen als am Text dran zu sein. Spannend fand ich wie provokant teilweise die Bewegung zum Inhalt war. Hängen geblieben ist mir die Bewegung von „Globalisierung“ besonders, als er auf dem Boden saß und wie eine Kugel um sich selbst kreiste. Leider fiel es mir teilweise schwer das amerikanische Englisch zu verstehen. Außerdem hätte ich die gestikulierende Teleprompterin hinter dem Publikum (auch wenn es Sinn machte) gerne mal vor mir richtig gesehen. Insgesamt fand ich den Abend sehr interessant und beeindruckend, wie sie geschafft haben, die Nobelpreis-Rede Barack Obamas kritisch und durch Tanztheater darzustellen.
Jasmin


„Your Majesties“: wie soll ich nur anfangen diesen Blog zu schreiben... Da wäre die Assoziation mit Charlie Chaplin in „Der Große Diktator“, da wäre eine Kommilitonin, die gegen Ende der Vorstellung den Raum fluchtartig verlässt, da wäre mein faszinierter Blick, der am Protagonisten klebt, da wäre seine steife Haltung am Anfang und da wäre, wie er langsam und ganz schleichend die rede Obamas mit Bewegungen beginnt zu parodieren, weil er z.B. sich auf einen Stuhl setzt, beide Beine auf eine Armlehne legt und seinen Oberkörper absacken lässt, ein Bild, dass nicht zu der rede Obamas passt, sie für mich plötzlich absurd wird, weil so viel Pathos in seiner Rede steckt, da wäre der Umgang mit der Sprache des Tänzers, Performers oder was er auch immer ist, solide, ich bleibe an ihm dran, auch wenn mein Englisch in den letzten Jahren gelitten hat, da wäre eine Frau, die hinterm Publikum steht, Anweisungen macht, die der (ich sage jetzt mal) Performer befolgt, sie hat eine gelbe, rote und grüne Karte, sie gibt ihm Gestiken vor und zuletzt da wäre noch die Frage an meine Kommilitonin, wieso ist sie rausgegangen? Jetzt weiß ich es und es war nicht das, was ich noch vermutete, als sie den Raum verließ, sondern was ganz anderes und sie hat total Recht. 
Jonas


Nach ungefähr einer Viertelstunde drehe ich mich leicht irritiert um, um den Urheber der ständigen Störgeräusche zu identifizieren und sehe eine kleine Bühne und darauf eine Art Souffleuse, die gestikulierend den Mann auf der Bühne vor uns führt. Dieser Mann ist Barack Obama (in Weiß), seine Friedensnobelpreis-Rede rezitierend. Er imitiert ihre Bewegungen: Liegestützen, Froschhüpfer und ausgiebiges Dehnen gehen einher mit einer ernsten, bemerkenswert ehrlichen „Nobel Lecture“. Wunderbar schräg und berührend. Ein Stück, das in Erinnerung bleibt, schon allein wegen meinen Nackenschmerzen.
Gian Leander


In geschliffenem Englisch mit hervorgehobenem Gestus und kleinen tänzerischen Einlagen haucht Alex Deutinger Obamas Friedensnobelpreisrede von 2009 neues Leben ein. Im Rücken der Zuschauer werden seine Bewegungen eindringlich gespiegelt von Marta Navaridas. Diese Spiegelung lässt mich Obamas Rede in einem anderen Licht sehen. Gegen Ende seiner Rede erklimmt der „Präsident“ den Zuschauerraum, um die Hände seiner Anhängerschaft zu schütteln. Diese Version von Obamas Rede scheint mir ehrlicher und vielschichtiger zu sein als das Original.
Nico


Nee, wirklich, ist das schon soooo lange her? Würde er den Friedensnobelpreis heute nochmal gewinnen können? Seine Glaubwürdigkeit als Hoffnungsträger ist ganz schön angekratzt und dass er Frau Merkels Handy also persönlich abhören hat lassen... Ich sehe dem Performer Alex Deutinger bei der Arbeit vor mir zu, sehe seinen Schweiß und denke über die merk-würdigen Worte nach, die er spricht. Vor allem die Auslassungen sind interessant und ich vergleiche mit der Rede im Netz. Und wünsche dem Mr. President, dass er sich dieser Performance einmal aussetzen würde und seiner Rede zuhören. Das wäre eine noble Geste.
Maren


Obamas Nobel Lecture als Tanzstück. Die authentische Stimme Deutingers will uns versuchen, während sein Körper eine ganz andere Geschichte erzählt. Ein verschobenes Gestenrepertoire enthüllt eine Rhetorik der Kriegsrechtfertigung, steigert sich ins Groteske, bis mir das Lachen im Hals stecken bleibt. Die Überzeichnung gar nämlich eine Kopie (Navaridas) im Publikum. Ich will keine Kopie sein. Ich lass mich nicht blenden und schüttle ihm schon gar nicht die Hand! Übermannende Wut löst dieser politische Blendzirkus in mir aus. So einfach, so gut! Den größten Respekt an die Künstler zeige ich, indem ich aufstehe und gehe.
Melina


Ich war beeindruckt von der Weichheit und dem tollen Klang seiner Stimme. Kontrovers, sein Auftreten. Ein schicker Anzug, die passende Gestik dazu. Steigernde Skurrilität durch die Sprache des Textes verbunden mit den dazu nicht passenden, kontroversen Bewegungen, diese gelenkt durch eine Dame hinter dem Publikum stehend.
Leider habe ich wohl eine andere Art von Humor, dass ich kein einziges Mal während der Aufführung lachen konnte, obwohl meine Sitznachbarn sich teils immer wieder kringelten vor Lachen. Vielleicht hat es mit der Bereitschaft zu tun sich auf so einen Abend mit so einem Stück einzulassen. Vielleicht find ich auch die Themen die angesprochen wurden zu sensibel, um sie in der Art und Weise darzustellen. Für mich hat es etwas zu Einfaches, schon fast Plattes, wenn auch eine tolle Körperlichkeit besteht, solche Themen in einem Gegensatz darzustellen.
Marian


Im Laufe des Abends hatte ich irgendwann nicht einmal mehr Lust zuzuhören. Für mich war der Inhalt Obamas Rede so stark, dass ich keine Lust hatte, mich mit deren performative Umsetzung auseinanderzusetzen. Mir kamen zum Beispiel Bilder der Bürgerrechtsbewegungen unter Martin Luther King in den Sinn, wo die Schwarzen trotz ihrer nahezu hoffnungsloser Lage auf die Straße gingen, um zu demonstrieren. Bei der geballten Ladung Krieg, Hoffnung, Sklaverei und dann auch noch Begriffen wie „Mütter“, verstehe ich bei dieser Rede kaum Spaß. Und wenn ich dann noch irgendwie mir anhören muss, wie sich die USA für den Weltfrieden einsetzen wollen und mir denke, wie sie sich zum Beispiel beim Krieg in Vietnam eins abgewichst haben, um danach das dortige Chaos sich selbst zu überlassen, wird mir alles zu blöd.
Paulina

Kommentare

Noch keine Beiträge