Raus aus der Depression

Johanna Richters „Intimate Stranger“ fürs Münchner Theater der Jugend

München, 27/02/2012

Großes Aufatmen – endlich raus aus dieser Depression, dass dem Tanztheater die Luft ausgegangen ist. Themen gibt es ja! Zum Beispiel im breiten Problemfeld „Deutschland, ein Einwanderungsland“. Wie kommen Menschen aus verschiedenen Ländern miteinander klar? In Johanna Richters „Intimate Stranger“ fürs Münchner Theater der Jugend (TdJ)/Schauburg quatscht ein zorniges Spanisch vehement lautes Deutsch, gemurmeltes Serbokroatisch und zäh insistierendes Griechisch nieder. Wir verstehen nix. Richters sechs Hausbewohner verstehen sich untereinander auch nicht. Und doch: Was für eine wunderbare Nachbarschafts-Story! Grauer anonymer Appartmenthaus-Flur mit sechs Türen zu Wohnwaben (treffend von Mark Rosinski), in denen sechs männliche Singles hausen. Über einer Tür ist eine Überwachungskamera angebracht. Und aus ähnlichem Außenblickwinkel schauen wir auf diese jungen Männer, wie sie morgens zu Arbeit gehen, sich zurückhaltend am Aufzug grüßen. Wie sie misstrauisch, die Schultern eng, die eigene Person schützen. Und doch neugierig beim Nachbarn hineinspitzen. Beim neu eingezogen Herrn Maifeld, alias Tim Bergmann (er ist bekannt aus Schauspiel, Film und Fernsehen), wenn der seine Tür offen lässt. Der Grieche Jannis Spengler spielt einen Ordnungsfanatiker, der alle Wohnungen durch den Spion fotografiert und darüber wacht, ob auch jeder eine Fußmatte hat – die der Spanier in Appt. 6 regelmäßig stibitzt. Man muss das in natura sehen, wie der Blitzbeweger Miguel Fiol Duran seine (Rollen-)Kleptomanie, wenn ertappt, zur hilfreichen Geste umzulügen versteht. Das sind jedes Mal Chaplin-Tänzchen der hinreißenden Art. Ach, und Volker Michl, hier tags ein glattgekämmter Angestellter und nachts in Frauenkleidern eine verführerische Schöne, „die“ sich dann mit zarter weiblicher Geste der Werbung des sonst so machohaften Kapuzen-T-Shirt-Trägers Sascha Kekez erwehren muss. Jeder ist einsam, sehnt sich nach ein bisschen Liebe, fühlt sich missverstanden oder bespitzelt. Und schon entwickelt sich aus einer lyrischen Szene ein martialischer Zweikampf oder eine psychotische Situation, wo der auf die Bühne gekippte Müll nach Beweismaterial durchsucht wird.

Johanna Richter hat es sehr schön hingekriegt, dass sich diese sechs so verschiedenen Männer langsam näher kommen. Wobei anzumerken ist, dass sich die Schauspieler Bergmann, Kekez und Spengler in den Tanzszenen - auch den physischen Kraftakten- ziemlich gut schlagen. Und die hervorragenden Tänzer Duran, Michl und Oliveira prima Schauspieler sind.

Verführt durch die von Anfang bis Ende unaufdringlich durchfließende Musik: Schlager, Minimal- und Jazz-Musiken, schwingen die sechs kernigen Kerle dann und wann in einen kurzen Tanz, werden ruhig. Beachten nun die Friedensangebote des sanften Pflanzen-Liebhabers aus Brasilien. Immer wieder hatte Ronni Oliveira ihnen eine Gladiole auf die Fußmatte gelegt. Und endlich folgen sie ihm, stellen alle ihre Tische auf die Bühne und feiern mit Wein und Kuchen ihre Freundschaft.

Für Integration plädieren können nicht nur Bundespräsidenten. Tanztheater kann 's vielleicht sogar besser. Und ganz bescheiden nur durch Blicke, Gesten, Körpersprache. Das Publikum tobte vor Begeisterung. Und wenn die Veranstalter von Münchens Dance-Biennale 2012 eine Produktion aus der ortsansässigen Tanzszene suchen - hier wäre eine.

Weitere Vorstellungen 28., 10 Uhr 30 und 19 Uhr 30; 29. 2., 10 Uhr 30. Weitere Vorstellungen im März.

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