„New Work“ von Édouard Lock

Die kanadische Tanzkompanie La La La Human Steps im Festspielhaus Hellerau

Dresden Hellerau, 25/01/2011

Schwarz die Bühne und schwarz die behosten Männer. Man könnte das „New Work” auf den ersten Blick für ein Ballett von Marco Goecke halten. Auf den zweiten fallen einem allerdings gewaltige Unterschiede auf. Während der Haus-Choreograf des Stuttgarter Balletts eher diffuse, lebendige Lichtstimmungen von Udo Haberland bevorzugt, knallt Armand Vaillancourt im Auftrag des Herrn seine Spots auf den Boden: Lichtzeichen einer Choreografie, die viel aus dem Stand heraus arbeitet, aber immer ihre Bewegtheit so überdreht, dass das Auge kaum noch zu folgen vermag. All das kennt man schon aus „Amjad”, eine Choreografie von Édouard Lock, mit dem La La La Human Steps vor vier Jahren auf Tour ging. Waren es seinerzeit Kompositionen von Peter Tschaikowsky, die Gavin Bryars dekonstriert und neu komponiert hat, sind es diesmal Stücke von Christoph Willibald Gluck und Henry Purcell, die dem kollektiven Gedächtnis auf die Sprünge helfen sollen. Bruchstücke beider Barockopern sind live zu hören, darunter auch fast originalgetreu einmal kurz der Furientanz, währenddessen im Festspielhaus Dresden-Hellerau zehn Tänzer und Tänzerinnen im nicht ganz kompletten Bühnenbild angetreten sind, einem die letzten Gedanken an „Orpheus und Eurydike” oder „Dido und Aeneas” auszutreiben. Eisig kalt ist aller Tanz und gleichsam gefriergetrocknet die Geschichte der beiden Liebespaare, die mehr zu ahnen denn zu sehen ist: ein bloßes Beziehungskonstrukt, dessen Emotionen sich so beschleunigt haben, dass sie als solche kaum noch erfahrbar sind.

Das passt natürlich ganz gut in unsere schnelllebige Gegenwart, und der 30-jährige Erfolg der kanadischen Kompanie ist nicht zuletzt aus ihrem Zeitbewusstsein heraus zu erklären. Tatsächlich kommt das Ballett selbst dann, wenn Édouard Lock seine Tänzerinnen regelrecht in den Boden spitzt, nicht wirklich zur Ruhe. Bis zur Schmerzgrenze ist das Stück überreizt und in einer unaufhörlichen, hektischen, hypertrophen Bewegung. Ohne Unterlass erinnern sich die Arme gelebter Geschichte, greifen zwischendurch an die Halsschlagader oder schlagen sich auf die Schenkel, wenn sie sich nicht gerade in den Hüften wiegen. Ein Solo jagt das nächste, ein Duo reiht sich ans andere, sofern sich die Damen oder Herren nicht mal gerade verführerisch zwischenlagern – als wär‘ der Stillstand jedes Choreografen Tod. Dass der Tod eigentlich das Thema dieses Doppelabends ist, scheint Édouard Lock mit Absicht zu relativieren, und nur während wiederholter Video-Einblendungen gönnt er auf der Suche nach der verlorenen Zeit seinem Ensemble eine Atempause. Die allerdings können sich wirklich sehen lassen, zeigen sie doch auf zwei getrennten Leinwänden jeweils das Gesicht der jungen und der (künstlich) gealterten Frau. Beide besitzen bei aller Klarheit ihrer klinischen Schwarz-Weiß-Ästhetik noch etwas von dem Geheimnis, was der 90-minütigen Highspeed-Show ansonsten eher fehlt: eine Tiefe nämlich, die den Stücken eines Marco Goecke selbstverständlich eigen ist. Nicht zu vergessen: Humor. Dass sich die Tänzer am Ende wie in einem Goecke-Stück von ihren Zuschauern verabschieden, kann nur ein Zufall sein. Die beiden Choreografen kennen einander nicht. Umso spannender dürfte die Aufführung für ein Publikum sein, das vergleichen kann. Im kanadischen Montréal, der Heimat Édouard Locks, präsentiert Goecke noch in dieser Spielzeit seinen „Pierrot lunaire” und den „Vuurvogel”-Pas-de-deux. Umgekehrt ist La La La Human Steps mit dem „New Work” am 5. Februar im Forum am Schlosspark Ludwigsburg zu Gast – allerdings ohne Diana Vishneva, die bei der Premiere in Amsterdam noch Aufsehen erregte. Unbezahlbar für Dresden-Hellerau, ist sie erst wieder in Bonn und Leverkusen dabei.

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