Wilder Parcours durch die 80er

André Gingras eröffnet das Münchner Festival „Dutch me!“

München, 08/05/2009

„Dutch me!“ heißt das neue Alternativprogramm zur Ballettfestwoche, das noch bis zum 10. Mai in der Muffathalle und an anderen Orten in Bayern spielt. Eigentlich kommen alle Künstler und Kompanien, die im Rahmen der tänzerischen Erfrischungskur für München auftreten, aus den Niederlanden. Das Eröffnungsstück „The Autopsy Project“ von André Gingras schien jedoch geradewegs aus den 80ern zu kommen.

Das beginnt schon beim Thema Mensch und Wissenschaft, dem sich Gingras’ sechs Tänzer zwischen Baugerüsten widmeten. Dass man Forschung und Medizin nicht all zu sehr vergöttern sollte, ist nicht gerade ein aktueller Ansatz. Entsprechend ist die Inszenierung. Zu piependen und hallenden Synthesizerklängen wird hauptsächlich getobt, gesprungen, gekichert und gezuckt. Es soll provoziert werden. Zum Beispiel in einer Szene, in der ein selbsternannter „Arztaffe“ mit Äskulap-Stab und Urintrichter einen animalischen Tanz aufführt, nach dessen Takt die anderen wild um ihn herum springen. So lange, bis ein total verschnürter „Patientenaffe“ ihn seiner Machtinsignien beraubt und damit entmannt. Das Gesundheitswesen frisst seine Kinder. Auch die Slapstick-Nummer, in der ein Darsteller die steifen Arme seiner Partnerin zurechtbiegen will, dabei aber immer wieder von ihr eines über die Löffel bekommt, kennt man.

Der Rest ist Akrobatik, allerdings beeindruckende. Gingras hat sich mit dem Phänomen des Parkouring beschäftigt: ein aktueller Trendsport, bei dem sich die Akteure in rasendem Tempo durch urbane Landschaften bewegen. Es wird über Brüstungen geschwungen, durch Fensterrahmen gerollt, über Häuserschächte geflogen. Zuletzt machte Madonna die Mischung aus Tanz und Hindernislauf in ihrem Video „Jump“ populär. Gingras’ Tänzer stehen deren Künstlern in nichts nach, vollführen an drei Gerüsten halsbrecherische Figuren und Stunts. Dabei werden die Parkouringszenen immer wieder mit schwungvollem Streetdance ergänzt, eine stimmige Kombination. Was man vom Gesamteindruck nicht sagen kann. Zu viele Stilelemente kommen im „Autopsy Project“ zusammen (es gibt auch noch Leinwandprojektionen und Bilder einer Live-Cam), um ein klares Statement zur Wissenschaft formulieren zu können. Ein Effekt mit Bart machte dann aber doch Eindruck. Als sich die Tänzer splitternackt zu einer dichten Gruppe formierten, begannen ihre Körper plötzlich für sich selbst zu sprechen: von Gesundheit, von harmonischen Proportionen und von angebrachtem Misstrauen gegenüber Klon-Idealen, die sich auf erfundene, wissenschaftliche Erkenntnisse berufen.

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