Momente der Begegnung

Mit „Le Sceptre et La Marotte“ inszeniert Ludger Lamers im Münchner i-camp den dritten und letzten Teil von „Tokonoma - Ein Triptychon“

München, 18/11/2009

Am Anfang steht das Wort. Ein Zusammenspiel aus diversen Buchstaben; schwarze Tinte auf weißem Papier. Die Feder quietscht, nur widerwillig folgt sie den Bewegungen der Hand, die sie über die noch unbeschriebene Seite des kleinen Buches führt. Dieser forciert wirkende Moment der Berührung bleibt nicht ohne Folgen: Als die Tänzerin Silvia Teixeira den Stift zur Seite legt und ihr Büchlein verschließt, hat sich der Augenblick längst in die vormals blütenweißen Seiten eingeschrieben, seine Spuren hinterlassen.

Es ist ein intimer Moment, mit dem der belgische Künstler Ludger Lamers sein Tanzduos „Le Sceptre et La Marotte“ (zu Deutsch: „Das Zepter und Die Marotte“) eröffnet. Eingebettet in die unaufdringliche Szenerie einer Bühne auf kleinstem Raume, auf der nichts „ist“ und alles „wird“, nimmt das Duo sein Spiel auf. Beflügelt und getragen durch die leise gezupften Akkorde (Gitarre: Robert Merdzo), beginnen die beiden Körper sich zu bewegen. Behutsam tastend spüren die Akteure den Impulsen ihrer Bewegungen nach, ganz Hingabe an den Moment. Der eigene Körper wird berührt, gestreckt und gedehnt; neugierig forschend betrachten die Tänzer mal Hände, mal Füße und verharren immer wieder in verstört-ungläubigem Staunen, bis das Sich-Ausprobieren in der Enge des mit zwei mal zwei Metern stark begrenzten Bühnenraumes schließlich in der unvermeidlichen Begegnung mit dem jeweiligen Gegenüber resultiert.

Gekonnt inszeniert findet sich das erste unmittelbare Aufeinandertreffen der beiden Figuren als Moment der Selbsterfahrung, erfolgt das bewusste Wahrnehmen der eigenen Körperlichkeit im endlichen Zusammentreffen als Mann und Frau, Yin und Yang, Schwarz und Weiß (sinnbildlich gespiegelt auch in den Kostümen von Anna Münch). Die Blicke berühren sich, bald folgen ihnen die Körper nach. Aus Distanz wird Nähe, aus Nähe wieder Distanz. Das Zepter in der Schwebe. Alles wird gezeigt, doch nichts ausgesprochen. Der Tanz erklärt sich selbst. Jede einzelne der Bewegungspartien im Zusammenspiel von Ludger Lamers und seiner Partnerin Silvia Teixeira ist so präzise und klar gehalten, so bewusst gestaltet, dass es ihr an Ausdruckspotential nicht mangelt. Voller Intensität und Energie gehen die Bewegungen der beiden Tänzer ineinander über, verschmelzen miteinander, um sich am Ende doch wieder zu verlieren; wechseln Momente einer schier vollkommenen Harmonie mit Augenblicken der Irritation und ironischer Brechung.

Der Versuch eines Dialoges wird eingestreut, die Musik setzt aus. Deutsch-Portugiesische Sprachfragmente werden in den Raum gestreut, das Publikum fixiert. Silvia Teixeira lässt ihr Büchlein durch die Reihen gehen - „Mein Poesiealbum“, so der Titel; „Please write something for me“, die Aufforderung. Während die Zuschauer über einen möglichen Eintrag sinnieren, geht das Spiel weiter: Zueinander wollen und Eins-Werden, Auseinanderdriften und Sich-Verlieren im Hier und Jetzt. Dominieren und dominiert werden. Zepter und Marotte – wer ist der Herrscher, wer der Narr in diesem Treiben? Stimmungsbilder werden geschaffen – ihre Dekonstruktion nur eine Frage der Zeit. Konzentrierte Energie auf engstem Raume, Spannung entlädt sich, irisierendes Scheinwerferlicht trägt die Schatten der beiden Tänzerkörper in die höchsten Höhen hinauf. Alles ist Bewegung; ein ständiges Übereinander-Rollen, ein Klettern, ein Heben; atemloses Sich-Aneinander-Pressen und Auseinander-Driften, Kontaktimprovisation.

Drei Akte lang geht das so, 40 Minuten dauert die Aufführung, dann ist das Spiel vorbei. Der Kreis zum Poesiealbum schließt sich nicht: Es wird am Ende verzweifelt gesucht.

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