Schwebende Balancen und das Tutu der „Kleinen Tänzerin“

Die Degas-Ausstellung „Intimität und Pose“ in der Hamburger Kunsthalle

Hamburg, 03/03/2009

Wohl kaum eine Ballettratte kennt sie nicht, die duftig-eleganten Aquarelle und Ölbilder von Edgar Degas. Nun widmet die Hamburger Kunsthalle dem feinsinnigen Beobachter des Tanzes nicht nur eine Ausstellung seiner Bilder und Zeichnungen, sondern vor allem auch der Skulpturen. Sie hatte Degas, bereits erblindet, aus Wachs geschaffen – als vergängliche Werke also. Dass sie uns erhalten geblieben sind, wenngleich nicht als Wachsfigurinen, ist seinen Erben zu verdanken, die die Skulpturen nach seinem Tod (1917) 1919 in Bronze gießen ließen.

Alle 73 Originalabgüsse, die dem Museo de Arte de Sao Paulo Assis Chateaubriand gehören, sind jetzt im Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle zu bestaunen: etwa in Brusthöhe stehen die etwa 30 cm hohen Figuren auf einem sich schlangenförmig durch den Raum schwingenden Podest. Vor allem von der etwas erhöht liegenden Balustrade aus scheinen sie dabei tatsächlich zu tanzen und zu schweben. Das Faszinierende daran sind die Posen der Tänzerinnen – Degas hat sie nicht nur in Bühnenposen festgehalten, sondern vor allem auch backstage in ihren Alltagsverrichtungen – Schuhe binden, Füße massieren, Kämmen, Waschen – und beim Ausprobieren verschiedener Haltungen. Es sind realistische Augen-Blicke aus dem oftmals schwierigen Alltagsleben der Tänzerinnen, die damals gesellschaftlich kaum anerkannt waren und häufig als Huren beschimpft wurden, nicht selten ausgehalten von zwielichtigen Galanen – eine Welt, die sich auch in den umliegenden Räumen ausgestellten Zeichnungen und Gemälden Degas’ spiegelt, die sich den Themen „Bordell“, „Boudoir“ und „Pferderennen“ widmet.

Interessantes Detail am Rande: Zu Lebzeiten hatte Degas stets nur eine einzige dieser Wachsfiguren öffentlich gezeigt: Die „Kleine Tänzerin von 14 Jahren“. Sie ist mit 96 cm Höhe deutlich größer als die anderen und der Bronzeabguss steht auch in Hamburg abseits in einer Vitrine auf dem Boden. Das Besondere an ihr ist jedoch ihre Bekleidung: als einzige trägt sie ein Stoff-Tutu, und eine Satin-Schleife schmückt ihren Bronze-Zopf. Mit diesem Tutu hat es nun seine besondere Bewandtnis, prägt es doch den Gesamteindruck der Figur wesentlich mit. Wie sehr, zeigt sich an einer Publikation von Monika Wagner, Professorin am Kunstgeschichtlichen Seminar Hamburg in den „VDR-Beiträgen“ des Verbands der Restauratoren aus dem Jahr 2008. Sie fand nämlich heraus, dass es mindestens fünf weitere Tutu-Varianten gibt, die dem Original-Wachs-Modell allesamt kaum noch ähnlich sehen: das eine hängt an der Statue schlaff herunter wie ein drittklassiger Feudel, ein anderes wirkt in seiner Bauschigkeit mehr als künstlich, ein weiteres wirkt an den Hüften unförmig aufgetrieben. Es dürfte wohl ein recht einmaliger Vorgang sein, dass ein weltweit bekanntes Kunstwerk derart unterschiedlich ausstaffiert und somit auch verändert wird. Auch erscheint jeder Stoff an der Bronzefigur, anders als an einem Wachsmodell, seltsam unorganisch. Offenbar hängt es also stark von den Restauratoren ab, wie sie diesen textilen Zusatz der Bronzefigur gestalten – von ihrem Einfühlungsvermögen und ihrer Werktreue. Dennoch – oder gerade deshalb:

Die Hamburger Degas-Schau ist einen Besuch wert. Und wer schon in Hamburg ist, sollte gleich noch eine Ausstellung „mitnehmen“: Im Bucerius-Kunstforum am Hamburger Rathausmarkt werden zeitgleich Porträts und Masken von Henri Matisse ausgestellt – noch eine Möglichkeit, einen berühmten Maler des 19. und 20. Jahrhunderts von einer eher weniger bekannten Seite kennenzulernen.

Edgar Degas. Intimität und Pose. Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle (www.hamburger-kunsthalle.de), noch bis zum 3. Mai 2009. Di-So 10-18 Uhr, So bis 21 Uhr. Öffentliche Führungen Sa 15 Uhr, So 12 Uhr. Montags geschlossen. Matisse. Menschen, Masken, Modelle. Bucerius Kunstforum (www.buceriuskunstforum.de), noch bis zum 19. April 2009. Täglich 11-19 Uhr, Do bis 21 Uhr
 

Kommentare

Noch keine Beiträge