Liebestanz im Konsumtempel

Im Staatstheater Cottbus weckt „Ein Tag bei Norma“ zärtliche Gefühle

Cottbus, 21/10/2008

Bühnenhoch versperrt ein begehbares Lattengerüst den Blick aufs Dahinter. Ein junger Mann sitzt darin nachdenklich, bis der Luftballon, den er zärtlich schwenkt, wie ein Traum zerplatzt. Damit beginnt am soeben hundertjährigen Staatstheater Cottbus die Uraufführung „Ein Tag bei Norma“. Auf den Leib geschneidert hat sie dessen um vier Gäste erweitertem Rumpfballett aus acht Tänzern Gastchoreograf Torsten Händler, der nicht nur als Ballettchef in Chemnitz bewiesen hat, wie man Parts individuell kreiert. Für Cottbus entwarf er mit Fantasie eine Geschichte aus dem täglichen Leben. Denn als sich jenes Gerüst wie eine Sicherheitstür öffnet, wird ein weitläufiger, perspektivisch gemalter Säulensaal sichtbar, vielleicht eine Filiale der Norma-Kette. Mit Warenumschlag beginnt der Morgen, bald kutschieren Kunden Einkaufswagen umher. Sie sind die wechselnde Personnage des 90-minütigen Parcours der Begegnungen; lediglich Filialleiter, Kassiererin und dem jungen Mann fallen auf diesem Marktplatz der Sehnsüchte durchgehende Rollen zu.

Da verwickelt eine Diebin den Leiter, der sonst die Lage aus seinem Büro beäugt, in eine Jagd, tappelt ein Alter durch die Regale, spreizen sich zwei Hübsche mit Pferdeschwanz im Wunsch, zu gefallen. Wie ein roter Faden durchzieht das Werben des jungen Mannes um die kühle Kassiererin mit seinem emotionalen Auf und Ab das Geschehen. Händler nimmt auch das ironisch: Aus der gereichten Rose wird nach dem Duett ein Bund Möhren. Als Arbeiter mit Overalls Kisten karren, strebt der Spaß seinem Höhepunkt zu. Eng verknüpft ist er mit einer rüstigen Oma, als die Erzkomödiantin Undine Förster die köstlichste Miniatur des Abends liefert. Doch Ulk und Ernst liegen bei Händler dicht und berührend nebeneinander. Zu „Casta Diva“, der Belcanto-Bravour aus Bellinis „Norma“, wächst sich in einer Vision die Kassiererin zur Kaufhaus-Queen aus, lässt sich von Herren im Anzug umschwärmen, mit Silberflitter umschmeicheln.

Oma bricht die Stimmung, rettet die Kassiererin vor aggressiven Rockern, leitet verzückt den eigenmusikalischen Teil ein: Jeder raschelt, rüttelt, trommelt mit Gegenständen vom Nudelpaket bis zum Bierkasten. Musik der amerikanischen Minimalkomponisten Philip Glass und Steve Reich, eingebunden in eine Klangcollage des Chemnitzer Experimentators Steffan Claußner, trägt dann wieder den Versuch einer Mondänen, in der Kaufhalle ihre Anzeigenpartner zu treffen, schüchtern der erste, witzig der andere, feurig russisch ein dritter – ein Kohlkopf dient stets als Erkennungszeichen. Auch hier gelingen Händler feinkomisch skurrile Episoden, in denen Bewegung Charaktere formt. Als eine Gang den Laden entert und den schmachtenden jungen Mann verprügelt, fährt der Eiserne Vorhang herab, gibt dann einen Traumraum frei, in dem der Mann unter schwebenden Luftballons sein Begehren auslebt: in einem so poetischen wie kniffligen, indes etwas zu langen Liebesduett mit der Angebeteten.

Ob beide zueinander finden, lässt der Choreograf weise offen. Manuela Geisler hat ihm für seine „Versuche vom Glück“, so der Untertitel, eine geschickt skizzierte, raffiniert wandelbare Szenerie gebaut, in der besonders Weinina Weilijiang, gerade mit dem lokalen Theaterpreis ausgezeichnet, Marek Balaz und Sebastian Grundler Akzente setzen, das gesamte Team sich in Händlers zeitgemäßer Bewegungssprache mit Kontraktion und Impulsweitergabe bestens bewährt. Wenn Intendant Martin Schüler sein Versprechen zum Theaterjubiläum einlöst, dann hat Cottbus ja vielleicht bald wieder eine aufgestockte, „richtige“ Ballettkompanie.

www.staatstheater-cottbus.de

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern