„Guten Abend! Kann ich bitte eine Axt haben?“

Fabulous Beast Dance Theatre - „The Bull“ bei spielzeit'europa präsentiert im Haus der Berliner Festspiele

Berlin, 29/11/2008

Europäisches Theater von Weltrang offerieren die Berliner Festspiele seit fünf Jahren. Doch auf eine irische Produktion von Michael Keegan-Dolon (geboren 1969 in Dublin) und seines originären Fabulous Dance Theatre Dublin mussten wir leider bis zum 27. November 2008 warten. Jetzt sind sie für drei Abende in Berlin und der Jubel für die Deutsche Erstaufführung von „The Bull“ ist groß. Diese Produktion des innovativen Kompaniegründers erhielt 2007 den UK National Dance Award. In den letzten fünf Jahren kreierte der polarisierende Theaterregisseur und Choreograf Michael Keegan-Dolan mit seinem internationalen Ensemble „Giselle“ (2003), „The Bull“ (2005) und „James son of James“ (2007). Drei Stücke, die sich mit den radikalen sozialen Veränderungen vor und nach dem irischen Wirtschaftsaufschwung auseinandersetzen.

Es wäre sicher ein lohnendes Wagnis gewesen, die ganze Midlands Trilogy einzuladen.
Das irische Nationalepos „Der Rinderraub von Cooley“ dient als mythisches Quellenmaterial für eine getanzte, gesungene, gesprochene Parabel auf die Verheerungen des irischen Wirtschaftswunders des letzten Jahrzehnts. Der Sage nach geht Königin Medb über Leichen um in einem langen blutigen Kampf mit den Ulsters in den Besitz des sagenumwobenen Stiers zu gelangen. Bei Keegan-Dolan kämpfen die Immobilienhaie Maeve und ihr Mann Alan gegeneinander und damit um den verlorenen Stier im Besitz der Torfstecher. Eurogierige Bodenspekulanten contra dickköpfige Farmer, die wie Shaolin-Kung-Fu-Kämpfer agieren.

Zu Beginn schaufeln sich die Anhänger beider Clans verbissen durch einen riesigen Berg Torferde, bis sie den Sarg finden, aus dem sich Fergus mit dem Sagen-Buch erhebt. Er erzählt die Geschichte von der Jagd nach dem Stier als großes Schlachten und agiert zugleich als Teil des Geschehens. Am Schluss dieser wilden Groteske über die Gier nach Besitz wird Maeves Tochter mit gereckten Armen zur Moorleiche in diesem Wassersarg ersaufen.

Die minimalistischen Szenen sind abgründig und zugleich komisch. Die Szenemontage folgt einer präzisen Dramaturgie. Im Dialog von Meave und Fergus verbinden sich Sprache und irischer Tapdance. Je mehr Meave die „lovely foodwork“ von Fergus lobt, um ihn als Mitstreiter zu gewinnen, je schneller antworten dessen ekstatische Füße. Ein „Orgasmus“ der Extraklasse. Der Traditional Irish Dance Star Colin Dunne brilliert als Fergus neben einer alle abgründigen Sprach-Register ziehenden Olwen Fouéré als Maeve.

„The Bull“ zeigt episches Körpertheater vom Fressen und Gefressen werden; düster, kompromisslos, hoch expressiv, virtuos im Wechsel der szenischen Erzählweisen. Gestisches Körpertheater im turbulenten Wechsel zwischen Tragödie und Slapstik. Eine beängstigende neunzigminütige Revue im Rhythmus des Mordens. Die Apokalypse des Mordens im Rhythmus einer hundert Minuten Revue. Ein Mann wird gepfählt, angezündet, zerhackt; während das Piano klimpert und der Tenor zur Trommel singt. Alan feiert seinen „happy birthday“ als erfolgloser Golfspieler, der in seiner exzentrischen Überdrehtheit wegen verfehlter Abschläge das Stück Kunstrasen wegschleppt. Eine Verfolgungsjagd im Torf zu Tangomusik, ein hymnischer Chorgesang auf das Glück. Ein schwarzer Prediger besteigt Finn im Torf und der sanfte Piano-Spieler mutiert zum nackten bissigen Köter an Maeves Leine. Die Blondine wird Hund Harry abschießen, so wie sie eine ewig lesende Dame an der Bushaltestelle mit einer Tüte erstickt und den Fahrer Salvatore mit einem Telefonkabel erdrosselt. Wenn der letzte Widersacher endlich blutend auf der Schlachtbank liegt, stecken zwei Mädchen Speichel und Kot in die Wunde, ehe sie selbst an ihren roten Sticknadeln im Kehlkopf ersticken. Doch all die Blutrünstigkeit bleibt in der unvorhergesehenen Brechung der Bilder aus Bewegung, Sprache, Gesang und Musik ein Spiel, bei dem die Bewunderung für den bildgewaltigen Einfallsreichtum des Regisseurs und die atemberaubende Energie aller Mitspieler die Oberhand behält.

Das Fabulous Dance Theatre stellt seinen Ensemblegeist perfekt unter Beweis. Diese Kompanie, eingespielt wie ein Uhrwerk mit hoher Drehzahl, zelebriert mit überbordender Energie Szene für Szene eine elementar rhythmisierte Revue des Untergangs. Die Texte der Aufführung sind frech, obszön und teils urkomisch knapp pointiert. Drei Sätze werden zum szenischen Zeitsprung einer Generation. Die Musikcollage von Philip Feeney grundiert die vital und kräftig in die Bühnenaktion eingreifenden Percussionisten Dave Boyd und Robbie Harris mit seiner irischen Rahmentrommel, den Mann am Klavier und den Contertenor auf der Himmelsleiter, der jeden Toten mit Urtönen oder hohen Schreien kommentiert. Der offene Bühnenraum von Merle Hensel mit seinem großen Torffeld, in das von der Hinterbühne auch Menschen und ein Rollstuhl kippen, ermöglicht ein atmosphärisches Spiel mit Versatzstücken.

Der „Keltische Tiger“ (in der parodistischen Umkehrung zugleich Signet der von Maeve gesponserten Riverdance-Show „celtic bitch“ auf T-Shirt und Basecup) zeigt sich entfesselt, voller Energie im Rausch der Selbstzerstörung. Im effektvollen Schlusscrescendo schlagen die Akteure auf Eimer, Stangen, Töpfe und einen Betonmischer ein. Regen prasselt. Wie eine Riverdance-Line stampft die Riege der Schuldigen – Täter wie Opfer – an der Rampe mit dem Gesicht zum Publikum knöcheltief im Morast. Deutsche Erstaufführung am 27.11.2008.

 

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