Fröhlicher Strahlemann mit Rotschopf

In Halle tanzt Ralf Rossas „Peter Pan“ durch Nimmerland und die Welt

Halle, 01/04/2008

In Halle haben sich zwei mit Faible füreinander getroffen: Ralf Rossa und Peter Pan. Feiert der eine gerade sein zehnjähriges Dienstjubiläum als Ballettchef an der Oper der Händelmetropole, so blickt der andere, obwohl von ewig kindlicher Jugend, auf eine längere Vergangenheit zurück. Als Junge, dem es graut, erwachsen zu werden, eroberte er sich 1904 in einem Theaterstück des Schotten James Matthew Barrie zuerst London, knapp ein halbes Jahrhundert danach als Zeichentrickfigur und, noch später, auch in Menschengestalt den Hollywoodfilm und die Welt. Aus seinem Nimmerland, das Michael Jacksons legendärer Ranch den Namen lieh, ist Peter Pan an der Saale eingetroffen und betört auch dort nicht nur Kinderherzen. Rossa hat seine Balletturaufführung mit Soundtracks des als Minimialisten bekannten Philip Glass und seines als Filmkomponist renommierten Landsmanns John Williams unterfüttert und der Geschichte einen aktualisierten Rahmen gegeben.

In einer Disko hinter Gaze treffen sich unter knallig einprojizierter Flackerwerbung Menschen, die nur noch mit virtuellen Partnern kommunizieren. Chartsgiganten prasseln auf diese manipulierte Gesellschaft in einer mediatisierten Welt hernieder. Im Höhepunkt beten die Feiernden jemanden an, und der fährt tatsächlich herab: Zum Klang einer Spieluhr fliegen Peter Pan und die Fee Tinker Bell an Longen ein. Mit einem Zauberwasser besprengt die Fee den müden Jungen zum rotschöpfig fröhlichen, tatendurstigen Naivling. In vier Männern erkennt er einstige Gefährten, ein gemeinsamer Ausflug ins Nimmerland ist beschlossene Sache. Doch ehe die kleine Mannschaft durch ein Meer aus Bläue, als hätten Yves Klein und Derek Jarman in Halle Zwischenstopp gemacht, über Skyscrapers hinweg schwebt, hat Ralf Rossa seine Not mit der Musik. Die verwendeten Filmtracks liegen in ihrer Länge fest, ihnen muss sich der Tanz fügen, auch wenn es noch nicht viel zu erzählen gibt. Selbstläufige Variationsgebilde füllen deshalb Zeit auch da, wo die teils dramatischen Kompositionen auf Größeres zielen.

Im Nimmerland, einem dampfenden Kistenparadies, ändert sich das, als Käpt’n Hook und seine Leute aufkreuzen, wilde Piraten allesamt, auf Stelzbein der eine, der Kapitän mit einem Silberhaken als Hand. Totenköpfe schmücken die Brücke ihres Schiffs. Sogar das gewaltige Krokodil, das scharf auf Kapitänsfleisch ist, lässt nicht lange auf sich warten. Peter Pan kräht vor Vergnügen, und Ralf Rossas Theaterblut gerät in Wallung. Derweil das Reptil den Käpt’n als Silhouette hinterm Horizont jagt, bauen vorn Indianer ihre Tipis auf. Squaws zitieren launig Tschaikowskis vier kleine Schwäne, selbst das Totem tänzelt. Dann überschlagen sich die Ereignisse. Hook raubt die Häuptlingstochter, Nixen mit flirrendem Silberhaar tummeln sich in den künstlichen Fluten einer fast barocken Theatermaschinerie, und Peter Pan will von Freundin Wendy nicht geküsst werden. Als aber die Piraten mit ihrem weiblichen Beutegut auftauchen, hechten alle Freunde in die Fluten, befreien das Mädchen und finden sich unter Palmen im Nimmerland wieder. Dort steuert Rossa die poetischste Szene bei: Das unbefangene Liebeswerben von Pan und Wendy, als lebe der Film „Die blaue Lagune“ auf, gewinnt auch tänzerisch Kontur.

Amüsant wie ein Comic ficht sich Hook seiner Strafe, dem Krokodilmagen, entgegen, purzeln Pan und die Fee an ihren Longen unter einer Blumengirlande effektvoll durch die Lüfte, zelebrieren seine Freunde unten Cancan-, Girls- und Irish-Tap-Reihe. Alle verabschieden Peter in die Welt, doch dort erwarten ihn zu nervös sich steigernder Musik Videobilder von Überschwemmungen, Feuersbrünsten, tobenden Wassern, windgepeitschten Palmen, berstenden Gletschern, ausgedörrter Erde. Anfänglich hilflos, dann zornig wehren sich die Freunde gegen die Bedrohung, und als Pan über allem Elend einen Regenbogen aufziehen lässt, stimmen sie in sein freudiges Krähen ein.

Neunzig Minuten prallen Theaters liegen da hinter den Zuschauern. Selbst wenn „Peter Pan“ choreografisch nicht Rossas stärkste Kreation ist, so gehört sie doch auch in ihrer Lichtfarbigkeit zu seinen komödiantischsten und publikumsträchtigsten. In dem Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und der Kostümdesignerin Wiebke Horn hat er Geschwister im heiteren Geiste, in seiner Tänzermannschaft verschmitzte Verbündete. Yann Revazov als Peter Pan darf alle Register des omnipräsenten Tanzdarstellers und Dauerstrahlemanns ziehen und verbreitet ebenso gute Laune wie Frank Schilchers zähnefletschend böser Piratenkapitän. Ayumi Babasakis Fee, Markéta Slapotovás Wendy haben es gegen soviel auftrumpfende Übermacht schwer. Das Programmheft ohne Angabe zu den eingespielten Musiken und ihren Komponisten, ohne Informationen zur literarischen Vorlage: die schwächste Leistung des Abends.


Wieder 09., 11.04., 03., 24., 30.05.

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