Der totale Ballett-Gau

„Das gläserne Herz“ beim Mariinsky-Gastspiel im Festspielhaus

oe
Baden-Baden, 26/12/2008

Exakt sieben Jahre nach dem Störfall des Schweinerüssel-„Nussknacker“ (siehe koeglerjournal vom 25.12.2001) am gleichen Ort bei der weihnachtlichen Stagione der Mariinskyaner aus St. Peterburg im Baden-Badener Festspielhaus nun also der totale Ballett-Gau bei ihrer Produktion „Das gläserne Herz“ zu Musik von Alexander Zemlinsky (Sinfonie Nr. 2 in d-moll und Drei Ballettstücke für Orchester – in der Choreografie von Kirill Simonov, der gleiche Simonov, der schon für den borstensträubenden „Nussknacker“ mit dem Ausstatter-Freak Schemiakin verantwortlich war). Zemlinsky komponierte „Das gläserne Herz“ 1901 als Teil eines Librettos „Der Triumph der Zeit“ von Hugo von Hofmannsthal, doch fand Gustav Mahler es derart „verworren“, dass er die geplante Aufführung an der Wiener Hofoper absagte. So musste die Musik auf ihre Uraufführung bis 1992 warten, die Bertrand d'At während der Bienert-Ära am Opernhaus Zürich choreografierte.

Die Petersburger Premiere fand zur Eröffnung des VIII. Internationalen Mariinsky Ballett-Festivals im März dieses Jahres statt und erwies sich, laut Igor Stupnikovs „Letter from St. Petersburg“ im Mai-Heft der englischen Dancing Times als ein „Flop“. Das ist noch milde ausgedrückt. Denn was wir in Baden-Baden sahen, war der reinste Schwachsinn, der auch durch Zemlinskys betörend schöne und eingängige Musik nicht gemildert wurde – sicher der überflüssigste Ballettabend seit langem. Beteiligt sind daran Alma (Schindler/Mahler), Alexander (Zemlinsky), Gustav (Mahler) sowie ein Gärtnerpaar, eine Reihe weiterer Solisten und ein ziemlich großes Corps de ballet. Es gibt ein dauerndes windmühlenartiges Herumgerudere mit den Armen, eine quälende Ménage à trois (Alma, Alexander, Gustav), ein Herumspritzen mit Wasser, das sich zu einer regelrechten Wasserschlacht auswächst, ein ständiges Gelaufe von rechts nach links ohne speziellen Anlass, ein Traumdivertissement im Paradies und eine Zwangskopulation mit einer Beate-Uhse-Puppe.

Im gut gemachten Programmheft (fehlt lediglich ein Artikel über den Unglücksraben von Choreografen) kommen Schönberg und Kokoschka zu Worte – fehlt eigentlich nur noch Josefine Mutzenbacher, um dem Ganzen den intendierten erotischen Kick zu versetzen. Vergeblich habe ich mich gefragt, was das Ganze denn soll und im Übrigen die armen Tänzer bedauert, die diesen Unfug auszuführen haben und das auch mit uneigennützigster Selbstentäußerung tun. Hätte es nicht – ohne Vorankündigung – quasi als Prolog – eingangs Balanchines „Apollo“ (ohne Geburt und ohne Aufstieg in den Olymp) gegeben, lupenrein getanzt von Alexander Sergeev und den drei Musen Maria Shirinkina, Olesya Novikova und Yana Selina: man hätte sich ernstlich gefragt, in was für einen Provinzklamauk man an diesem vergessenswerten Abend geraten war.

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