Anmutige Sportler

Bei den 18. Potsdamer Tanztagen lässt der Franzose Pierre Rigal ein Fußballspiel vertanzen

Berlin, 14/05/2008

In den 17 Jahren ihres Bestehens haben die Tanztage der Potsdamer Fabrik erfolgreich ein eigenes Profil in Abgrenzung zum Tanzsupermarkt der Riesenfestivals entwickelt. Anstatt Hype und großer Namen gibt es hier nach wie vor Geheimtipps zu entdecken. Ein besonderer Schwerpunkt liegt bei der 18. Ausgabe (14. bis 25. Mai) auf der Begegnung zwischen Tanz und verwandten Bewegungsformen wie Leistungssport oder Akkrobatik. Besonders skurril scheint auf den ersten Blick die Idee des französischen Choreografen Pierre Rigal, aus dem WM-Halbfinale Deutschland-Frankreich von 1982 ein Tanzstück zu machen. Mit Frank Weigand sprach der Künstler aus Toulouse über „Arrêts de jeu“.

Redaktion: Warum haben Sie ein Stück über ein Fußballmatch gemacht?

Pierre Rigal: In Frankreich ist dieses Spiel ein Mythos. 1982 war die französische Mannschaft sehr schwach und hatte es trotzdem geschafft, gegen die favorisierten Deutschen im Halbfinale zu stehen. Und dann hätten sie auch noch beinahe gewonnen. Ich habe das Spiel im Fernsehen gesehen, als ich neun war, und am Ende vor Wut und Frustration geweint. Für mich war das Thema eine hervorragende Möglichkeit von einer Kindheitserinnerung zu erzählen. Natürlich geht es in dem Stück um das Match, aber eben auch und vor allem um die Erinnerungen und die Emotionen der Kindheit, und darum wie sich Ereignisse durch die Erinnerung verändern.

Redaktion: Wie haben Sie das choreografisch umgesetzt?

Pierre Rigal: Das Stück ist keine Nachbildung des Spiels. Es beschäftigt sich eher mit seinem Ereignischarakter, als Sportereignis, aber eben auch als Fernsehereignis. Die Millionen Menschen, die damals zusahen, haben das alle durch Vermittlung des Fernsehens getan. Ich habe untersucht, wie die Bewegungen der Sportler durch das Fernsehen gefiltert und verändert werden und schließlich noch einmal durch die Erinnerung.

Redaktion: Sie waren selbst Fußballer und Hürdenläufer, bevor Sie Choreograf wurden. Gibt es für Sie Parallelen zwischen Leistungssport und Tanz?

Pierre Rigal: Meine ganze Kindheit über habe ich kein einziges Tanzstück gesehen. Aber die Sportarten, die ich betrieben habe, haben mir Koordination beigebracht und mir eine Kenntnis von Körper und Bewegung vermittelt, die ich heute noch in meiner Arbeit anwende. Das Ziel der Bewegungsabläufe im Sport ist es, effizient zu sein, und nicht etwa schön. Während, wenn man es ein bisschen überspitzt formuliert, das Ziel der Bewegung im Tanz traditionell Schönheit ist. Aber auch im Sport lässt dieser extreme Wille zur Effizienz nebenbei noch Schönheit und Harmonie entstehen. Wenn man die Bewegungsabläufe eines Fußballers in Zeitlupe sieht, ist da trotzdem eine gewisse Harmonie und Anmut, die einen berühren können. Auch als Choreograf habe ich bestimmte körperliche und thematische Vorgaben, die ich so effizient wie möglich zu erfüllen versuche, und manchmal entstehen aus dieser Effizienz Anmut und Harmonie oder auch Humor und Poesie.

Redaktion: Das französische Wort für „Nachspielzeit“ („Arrêts de jeu“) setzt sich aus den Wörtern „arrêter“ (aufhören) und „jeu“ (Spiel) zusammen. Ist der Titel Ihres Stücks ein Wortspiel?

Pierre Rigal: Ja. Zunächst bezieht sich „Arrêts de jeu“ ganz konkret auf den Bereich des Fußballs. Aber wenn man den Sinn weiterfasst, bedeutet es „aufhören zu spielen“, erzählt also von der Fähigkeit der Kinder, zu spielen und davon, wie Erwachsene diese Fähigkeit verlieren. Außerdem ist der Titel eine Anspielung auf den Beruf des Bühnenkünstlers.

Redaktion: Sie sind nicht nur Choreograf und Sportler, sondern haben auch eine filmische Ausbildung...

Pierre Rigal: Ich war Fotograf und habe Kurz- und Dokumentarfilme gemacht. Diese Kenntnisse wende ich auch in meinen Stücken an. In diesem hier wird das auch thematisiert: Es geht unter anderem um die Medien und um die Rolle von Bildern in unserer Gesellschaft. Ich arbeite darin mit einem Dispositif, das es mir erlaubt, die Körper der Tänzer in einen Fernsehschirm eintreten zu lassen. Und genau so ist heute unsere Gesellschaft: Jeder sieht sich Bilder an, und jeder ist zugleich selbst Teil eines Bildes.

„Arrêts de jeu“, deutsche Uraufführung bei den Potsdamer tanztagen, Samstag, 17.5., 20 Uhr Der Text erschien ursprünglich in der Ausgabe 05/06/08 des Magazins TanzRaumBerlin. Links: www.fabrikpotsdam.de www.pierrerigal.net

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