Tanz als Kampf um die Identität

Die palästinensische Tanzkompanie El-Funoun

Ramallah, 20/05/2007

Ein kühler Dezemberabend in Al-Bireh, einer Nachbargemeinde von Ramallah. Während in der Innenstadt bewaffnete Sicherheitsleute der Fatah nach Hamas-Aktivisten fahnden und in den Cafés blutige Bilder von den bürgerkriegsähnlichen Zuständen in Gaza über die Fernsehschirme flimmern, steht ein junger Mann hochkonzentriert in der Mitte eines Tanzstudios. Sharaf DarZaid ist 19 Jahre alt und in Ramallah aufgewachsen. Seit sechs Jahren ist er Mitglied von El-Funoun, der bekanntesten Tanzkompanie Palästinas. Gemeinsam mit dem Choreographen Omar Barghouti arbeitet er an einem Solo, das seine eigene Lebensgeschichte mit der eines politischen Märtyrers verwebt. Theatralische Gesten wechseln in ungestümen Brüchen mit wild getanzten Sprüngen der Freude, der Angst und der Überforderung eines jungen Menschen, der sein gesamtes Leben unter militärischer Besatzung verbracht hat.

Sharaf ist Tänzer mit Leib und Seele, und wie für alle anderen Mitglieder von El-Funoun ist die Kunst für ihn Ausdruck des politischen Kampfes seines Volks: „Viele Leute kämpfen gegen die Besatzung, indem sie schreien und Steine werfen. Aber wenn wir tanzen, tun wir etwas viel Wichtigeres für Palästina. Wir halten die Tradition am Leben. Und ich denke, das ist wichtiger, denn es ist friedlich.” Auf die Frage, welche der beiden Parteien, deren Konflikt gerade sein Volk spaltet, er unterstützt, will er sich nicht äußern: „Hier bei El-Funoun bist du nicht für Hamas oder Fatah. Draußen kannst du machen, was du willst. Aber hier drinnen sprechen wir über so etwas nicht.”

Seit ihrer Gründung im Jahr 1979 hat sich die Gruppe El-Funoun („die Künste”) gegen jede politische Vereinnahmung gewehrt. Dies macht sie bis heute zum unangefochtenen Symbol palästinensischer Identität. Am Anfang bestand sie nur aus einer Handvoll Studenten und Musiker, die die Tänze und Lieder ihres Volkes bewahren wollten. Unter dem misstrauischen Blick der Israelis, die in jeder kulturellen Äußerung in den besetzten Gebieten eine Gefahr sahen und daher die Auftritte der Gruppe oft gewaltsam unterbunden, entwickelte sich der lose Zusammenschluss folkloreinteressierter Menschen schnell zu einem gesellschaftlichen Phänomen.

1986 ging die Gruppe zum ersten Mal auf Tournee in den USA. Konzentrierte sich das Repertoire zunächst auf das dörfliche Leben mit seinen Hochzeits- und Erntetänzen, änderte sich dies schlagartig mit dem Ausbruch der ersten Intifada 1987. „Wir verstanden damals, dass wir ein Teil dieser Situation waren”, erinnert sich Mohammed Abu Yacoub, ehemaliger Sänger und Mitbegründer von El-Funoun: „Wir konnten nicht weiterhin vom Leben früher erzählen, so als wüssten wir nicht, was um uns herum passiert. In dem Moment hörte unsere Kunst auf, Selbstzweck zu sein.”

Die Entscheidung, sich ganz bewusst mit dem Leben unter der Besatzung zu beschäftigen und ihre Arbeit als Werkzeug im Kampf um politische Veränderung einzusetzen, brachte die Gruppe zu ungeahnter Popularität. Sie wuchs auf über 50 Mitglieder an, tourte unermüdlich durch die Städte und Dörfer des Westjordanlandes – auch durch die Golanhöhen und Gaza, als dies noch möglich war - und wurde zunehmend auch zu Festivals in der arabischen Welt eingeladen.

1993, gegen Ende der ersten Intifada, stieß auch Omar Barghouti zu El-Founun. Aufgewachsen in Ägypten, hatte der gebürtige Palästinenser einen Großteil seines Lebens in New York verbracht und dort eine Kompanie geleitet, die Folklore mit Modern Dance-Elementen mischte. Gemeinsam mit den anderen Choreographen von El-Funoun begann er eine behutsame Modernisierung der Bewegungssprache, die damals noch weitgehend auf dem traditionellen Schreittanz Dabke aufbaute.

Über die Jahre hinweg hat sich die Gruppe zu einer gut organisierten Struktur entwickelt. Mehr als 50 Tänzer aller Altersgruppen, eine gezielte Ausbildung des Nachwuchses und ein künstlerisches Auswahlgremium machen die Kompanie zu einer Art demokratisch geführter Firma – mit dem Unterschied, dass nach wie vor alle Mitglieder ehrenamtlich arbeiten. Administrativ geleitet wird El-Funoun von Khaled Katamish und Noora Baker, die als einzige ein kleines Gehalt für diese Arbeit bekommen, zugleich aber auch Tänzer, Trainer und Choreographen sind.

Als fortschrittsorientierte säkulare Künstlergruppe kämpft El-Funoun einen doppelten Kampf: einen politischen gegen die israelische Besatzung und einen aufklärerischen gegen die Fundamentalisierung der palästinensischen Gesellschaft. So stoßen sich beispielsweise einige Traditionalisten an den Tänzen, in denen Männer und Frauen einander berühren. Um sich politische Unabhängigkeit zu erhalten, lehnt die Gruppe jegliche Förderung ab, die an Gegenleistungen gebunden ist – auch von Seiten der palästinensischen Regierung. Hauptsponsor ihrer Arbeit ist die schwedische Entwicklungshilfeorganisation Sida.

„Es geht uns nicht um Hamas oder Fatah”, erklärt Khaled Katamish, „es geht uns darum, dass wir jeden herausfordern werden, der in irgendeiner Weise unsere künstlerische Entwicklung hemmen will.˝ Im Moment befindet sich El-Funoun an einem künstlerischen und strukturellen Wendepunkt: Einerseits ist die Kompanie auf die Einnahmen durch Auslandstourneen angewiesen, andererseits ärgert es die Mitglieder, dass sie häufig in einem Rahmen präsentiert werden, bei dem ihre Herkunft wichtiger zu sein scheint als die künstlerische Qualität: „Wir sind keine armen Palästinenser”, formuliert PR-Manager Jamal Hadad seinen Unmut. „Wir sind künstlerisch produktive Menschen. Wir wollen den Leuten zeigen, dass es in unserer Gesellschaft mehr gibt als nur Armut und Traurigkeit.” Gleichzeitig scheint das von ihm anvisierte Ziel, „irgendwann einmal so groß wie ‘Riverdance’ zu sein”, im Moment noch in weiter Ferne. Zu unzureichend ist die Ausbildung der Tänzer, zu niedrig das technische Niveau, das sich an zwei Probeabenden pro Woche mit ansonsten arbeitenden Interpreten erreichen lässt.

Zwar kamen in den vergangenen Jahren immer wieder namhafte Choreographen wie Alain Platel oder Thierry Smits für Workshops nach Ramallah, und Tänzer wie Noora Baker wurden zur Weiterbildung ins Ausland geschickt, doch fehlt der Arbeit die Kontinuität und finanzielle Basis.

Beim Auftritt im hochmodernen Ramallah Cultural Palace lässt die Energie der Gruppe jedoch alle technischen Mängel vergessen. Vor ausverkauften 740 Plätzen präsentiert El-Funoun einen Querschnitt durch die letzten 27 Jahre ihres Schaffens, wo sich Dabke, Showtanz und Release-Technik mit experimentelleren, oft stark theatralischen Stücken mischen. Immer wieder springen die Zuschauer auf, schwenken ihre Schals und singen mit. Das Solo des jungen Sharaf wird zum ohrenbetäubend beklatschten Höhepunkt.

Gewidmet ist der Abend Osama Silwadi, einem mit der Gruppe befreundeten Photographen, der querschnittgelähmt ist, seitdem ihn bei einer Demonstration die verirrte Kugel eines Landsmannes traf.

Heute, mehre Monate später, flammen die innerpolitischen Kämpfe in Palästina gerade wieder auf. Was auch immer geschieht, El-Funouns künstlerischer Kampf wird in jedem Fall weitergehen.


Der Text erschien in: Die Deutsche Bühne 5/2007: www.die-deutsche-buehne.de 
Nächste Vorstellung: am 25. Mai in London im Bloomsbury Theatre / www.el-funoun.org 

 

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