Nackt im Strom der Zeit

Das Ensemble About Dance erweckt in seiner Starnberger Uraufführung den Dichter Francois Villon zum Leben

Starnberg, 22/12/2007

Ein Choreograf, der sich mit Francois Villon beschäftigt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder er zeichnet die Welt des spätmittelalterlichen Dichters in möglichst berauschenden Farben und möglichst plastisch nach. Schließlich ist Villon als Gauner, Galgenvogel und Genießer eine schillernde Figur. Oder er wählt die Abstraktion – denn über Villon ist wenig bekannt, und seine Dichtung dreht sich nicht nur um die Demontage seiner Feinde, sondern im Wesentlichen um die ewigen Themen Hoffnung, Wut, Liebe und Hass.
Stefan Haufe hat sich für eine Mischform entschieden. Sein Tanztheater „Villon“, das er nach einer Idee des Impresarios Burkhard Grünefeld für dessen Kompanie About Dance schuf, vereint eine chronologische Lebensgeschichte mit stillen Elementen. Das wirkt leider nicht immer gut.

Im Grunde genommen ist es bezaubernd, wie die acht Tänzer in prächtigen Kostümen (Dagmar Schrade) Villons Weg um 1450 vom Studenten zum Kriminellen und letztlich zum erleuchteten Dichter durchtanzen. Ein mittelalterliches Ensemble spielt die Musik, und Schauspieler Jörg Zirnstein liest eine gelungene Auswahl von Villons Gedichten. Die Gruppentänze aus mittelalterlichen Schritten, Possen und niedrigen Beinen malen das Frankreich des 15. Jahrhunderts mitreißend, zum Greifen nah. Doch das Ganze ist eher ein Schauspiel als ein Tanztheater. Der Kampf um die schöne Yssabeau etwa (für die Villon das Erdbeermund-Gedicht schrieb) gleicht einer Actionszene aus einem Spielfilm. Und der Tanz der schönen Frauen von Paris erschöpft sich in hübschen, leeren Drehungen. Besonders irritiert es, dass Thomas Margies als Villon oft, wenn Verse gelesen werden, reglos am Bühnenrand steht und mit dem Gesicht dazu schauspielert. Hier wäre doch Platz für Soli, die, losgelöst vom konkreten Geschehen, etwas mehr in die Tiefe gehen. Auch die Geräusche, die eine Einbruchsszene untermalen, sind zu viele Hinweise in einer Handlung, die durch die Tänzer bereits perfekt erzählt wird. Hier wird zu wenig auf den Tanz vertraut.

Doch dann sind da auch wieder Szenen, die unendlich berühren, weil sie mehr wagen. Haufe hat Mut, das beweist schon die Zusammensetzung der Künstler: Der zierlichen Nürnberger Ballerina Julia Grunwald als Muse hat er den kantigen Margies als Villon, die reife Ina Bures (bekannt aus „Tabaluga“) als Hure Margot und die wunderbar weiblich geformte Australierin Casey Banks als Yssabeau zur Seite gestellt. Das ist ein aufregender Kontrast zu den ätherischen Wesen, die in den großen Häusern auftreten. In Villons zweiter Begegnung mit der Muse im Schatten des Galgens wird ohne störende Requisiten tänzerisch leicht und ergreifend gezeigt, wie er zum Dichter reift.

In einem spannungsgeladenen Pas-de-Deux werden Villons menschliche Sorgen und Nöte eins mit seiner Inspiration, ohne jede Gefühlsduselei. Nur das berühmte Gedicht der Maus, die in Villons Zelle Junge gebärt, bereitet dem Publikum Gänsehaut. So müsste das Stück viel öfter große Momente erzählen! Am Ende tut es das zum Glück auch: Wenn all die Menschen, die zu Villons Leben gehören – der verwünschte Bischof, die dicke Margot, Herzog Charles, Yssabeau, ein Verräter – sich ihrer Kostüme entledigen, sich nackt im Strom der Zeit langsam von ihm und seinem Lebensweg lösen, sich letztlich durch seine Hand aber doch ganz still zum lebendigen, historischen Tableau zusammen fügen – dann fängt Haufe tatsächlich einen kleinen Teil des unsterblichen Villon ein.

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