Jean Genet im Gärtnerverfahren

Hans Henning Paars Einstandsproduktion beim neu formierten TanzTheaterMünchen

oe
München, 03/11/2007

Also darauf ist keiner seiner Vorgänger je gekommen: am Gärtnerplatz, Münchens Zentrum der lokalen Schwulenszene, direkt vis à vis der Deutschen Eiche, Fassbinders Late-Night-Stammlokal und Treffpunkt der Münchner Gay Society, ein Ballett über Jean Genet herauszubringen – kein Ivan Sertic (der übrigens auch zum großen Choreografen-Jahrgang 1927 zählt), kein Günter Pick, kein Philip Taylor. Dazu musste erst Hans Henning Paar aus Braunschweig kommen, einundvierzigjähriger Chef des neu formierten TanzTheaterMünchen. Und um alle Befürchtungen zu zerstreuen, es könnte sich bei der neuen Truppe um ein Ballett hauptsächlich zur Garnierung der Operetten- und Musicalproduktionen des Hauses handeln, startete er kühn mit einem Abend „Les Autres“ nach Romanvorlagen von Jean Genet. Und so lässt er ihn (alias Raffaele Irace) durch die zehn Stationen dieses Tanztheaters stiefeln, einem Mixtum compositum aus früher Biografie, Rückblenden, Traumsequenzen und Phantasmagorien, angelehnt an Episoden aus seinen Romanen, zu live auf Akkordeon, Klavier und Flöte musizierten nebst elektronisch manipulierten Soundcollagen von Bach, Satie, Kagel, Monteverdi und anderen.

Paar wehrt sich – mit Recht – dagegen, dass dies ein Schwulen-Ballett sei. Dazu treten viel zu oft die Frauen in Erscheinung – allerdings überwiegend im Unisex-Outfit und durchweg als Loser. Die Tendenz ist jedoch nicht zu übersehen. Denn diese Tänzerwelt ist eindeutig männlich determiniert. Es dominieren die Männerszenen, Fights, Auseinandersetzungen, Vergewaltigungen, Machtdemonstrationen, Sado-Maso-Aktionen. Ja, es gibt auch Zärtlichkeitsbekundungen, sie schlagen aber fast immer in Gewalttätigkeiten um. Für Abwechslung ist durchaus gesorgt – wobei jedoch die wenigsten der wenigen Zuschauer in dieser zweiten Vorstellung eine Vorstellung davon haben dürften, aus welchen der Romane, Stücke, Filme oder sonstigen Veröffentlichungen Genets sich Paar bedient hat. Genet hat ja doch inzwischen erheblich an Schockpotenzial und auch an Aktualität eingebüßt. Für Abwechslung ist jedenfalls reichlich gesorgt, und es gibt wilde Verfolgungsjagden im Hardcore-Karate-Stil. Das alles mutet jedoch gerade im Vergleich zu Schlömers Fights in seiner gerade in Stuttgart herausgebrachten „Les Troyens“-Inszenierung ziemlich harmlos an – und ist weit entfernt von den Gewaltszenen, wie wir sie in jüngster Zeit aus den Gefängnis-Reports unserer diesbezüglichen Anstalten gewohnt sind.

Und das ist das Manko dieser Münchner Produktion, in die sich die Münchner Tänzer in einem wahren Furor stürzen: ihre Harmlosigkeit und Ungefährlichkeit – ganz anders als in den vergleichbaren Fassbinder-Filmen, aber auch in den Jean Genet-Balletten, an die ich mich von Gise Furtwängler oder Bernd Schindowski erinnere, die durchweg eine magische Faszination des Bösen ausstrahlten – als ballets maudits sozusagen. Und so muteten diese insgesamt so wenig atmosphärischen „Les Autres“ (und wer sind übrigens Die Einen – im Gegensatz zu diesen Anderen?) eben doch sehr Gärtnerplatz-geschönt an. Viel harmloser auch als alles, was sich im Badehaus Deutsche Eiche in nächster Nachbarschaft abspielt – oder in Glen Tetleys künstlerisch um Klassen überlegener „Arena“, deren Wiederaufnahme beim Stuttgarter Ballett (das übrigens in den Veröffentlichungen der Gärtnerplatz-Publicity-Spezies als Staatsballett Stuttgart firmiert) schon lange überfällig ist.

 

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