Spielfelder in Hellerau

The Forsythe Company stellt im Festspielhaus Performance-, Raum- und Videoinstallationen vor

Dresden, 23/10/2007

Der homo ludens (der spielende Mensch) ist ein wahrhaft glücklicher Zeitgenosse. Hat er sich doch die Neugier, die Lust am Entdecken und Ausprobieren, die Chance des Veränderns bewahrt. Und macht ungeachtet von Altersgrenzen oder Standesunterschieden mit der Freiheit des eigenen Denkens und Handelns Erfahrungen, die ihm keiner nehmen kann, entdeckt sich selbst. Doch William Forsythe und seine Arbeiten allein nur auf das Spielen reduzieren zu wollen, damit würde man ihm nicht gerecht werden. Bei seinen intensiv durchdachten Produktionen gehört aber das Spielerische – was nicht identisch ist mit dem Zufälligen – immer dazu. Und gibt auch den Darstellern Möglichkeiten eigenen Entscheidens, bezieht das Publikum als mitspielenden, mitdenkenden Part ein.

Im Festspielhaus Hellerau ist seit dem Wochenende von William Forsythe ein Konvolut von Performance-, Raum- und Videoinstellationen zu erleben, darunter fünf Arbeiten, die jeweils 2005 in New York, 2006 in München sowie im April 2007 in Tokio uraufgeführt wurden und nun erstmals in Hellerau vorgestellt werden. Drei der Spielfelder im rundum begehbaren, mit temporär veränderten Raumsituationen überraschenden Tessenow-Bau hat Forsythe speziell für diese Spielstätte geschaffen, und mit „Flandona Gagnole“ zu Musik von Thom Willems im Großen Saal schafft er einen Ereignisraum, wie ihn Adolphe Appia einst anstrebte, um die passive Haltung des Publikums aufzubrechen.

„Die Beleuchtung“, schrieb er beispielsweise an Dalcroze in Hellerau, „wird sich gestaltend im Raum ausbreiten, ihn mit lebendiger Farbe durchdringen und eine bewegliche, ständig wechselnde Atmosphäre schaffen können“. Daran ist man erinnert bei der Wahrnehmung des offen gehandhabten Saales mit seinen verwirrenden Klang- und Lichtquellen, Objekten auf allen Raumebenen, und Darstellern, die sich emsig damit beschäftigen, wobei schwer zu deuten ist, warum sie es tun. Ob man nun vor oder nach diesen merkwürdigen Begegnungen ein weiteres Mal nachliest, was es mit Fandona Gagnole im dritten Teil von Gullivers Reisen auf sich hat, wo er seine Beobachtungen auf einer fliegenden Insel schildert, dürfte kaum von Belang sein.

Forsythe illustriert nicht das Beschriebene, er schafft eine bewegte, zu erkundende, kaum deutbare Raumatmosphäre, die das Mittun der Eintretenden unverzichtbar macht. Indem sie sich um das Geschehen herum bewegen, sind sie Mitspieler und Beobachtende, Zuhörende, verweilen je nach Lust, Laune, Neugier, kommen wieder, nehmen Veränderungen wahr. Man will doch wissen, was es mit all diesen Ellipsen am Boden, aufgehängt, gestapelt, auf Rollen oder mit einem Stab bewegt, so auf sich hat. Und kann eine eigene Reisegeschichte erfinden, sich ausmalen, dass der erhabene Lichtpunkt auf dem grün-weiß markierten Spielteppich ein Feldherrnhügel, eine Zone des Nachdenkens ist. Und überlegen, warum sich der eine mit dem Material zudeckt, der andere darunter verkriecht, der nächste damit Faltungen vornimmt.

Es wechseln die Akteure, es verändern sich die Situationen, und auch das Publikum ändert im Durchlaufen der Stationen permanent seine Stand-, Sitz-, Beobachtungsorte. Mancher mag das Programm vielleicht auch rasant „abarbeiten“ und scheinbar nichts mehr entdecken haben, anderen reicht die Zeit überhaupt nicht aus, und sie wieder und wieder Kreise und Zickzacklinien durch das Haus. Wie immer bei Forsythe, muss man sich darauf einlassen wollen.

Neu ist auch „Theatrical Arsenal“, eine Aktion, die beileibe nicht nur Ballspieler vorführt. Sie schafft einen Beobachtungsraum, der mit Licht, Geräuschen, Vorhangwechsel die vor der durchschaubaren Tür geballt ausharrende Zuschauermenge so einbezieht, dass sie reagieren muss. Im Erschrecken, Suchen, Abwarten… „Hinderhold“, ausschließlich mit Studierenden vom D.A.N.C.E-Programm besetzt, ist dagegen ein fast schon beschaulicher Ort. Die jungen Tänzer – eine Schar eigenwilliger Begabungen aus ganz Europa - haben erst vor wenigen Wochen ihre zweijährige, weiterführende Ausbildung in Dresden aufgenommen. Und es macht Spaß, sie in diesem Forsythe-Projekt mit ihren Eigenheiten zu entdecken, herauszufinden, wie unterschiedlich sich jeder im Geviert, auf seiner „Schneidermatte“ im individuellen Wechsel von „Herstellung“, „Trennung“, „Variation“ in einem Gespinst von Fäden verfängt, verankert, sich mit Händen, Füßen, Zähnen daraus befreit und diese Freiheit behauptet.

In der Filmaufzeichnung von Thierry de Mey mit thematischen Variationen über „One Flat Thing, Reproduced“ erlebt man eindringlich die besondere Kunst jener Tänzer, die man in der nun schon beachtlichen Aufführungszahl der Forsythe Company in Dresden und Hellerau längst kennen und schätzen gelernt hat. Und die Videoinstellation „Antipodes I/II“ mit William Forsythe und Musik von Ryoji Ikeda bringt Irritationen, die das Verweilen im noch (fast) historisch belassenen kleinen Saal lohnen, der später einmal nach Emile Jaques Dalcroze benannt werden soll. Wie auch in der Neuen Pinakothek in München ist im Festspielhaus ebenso die „Monster Partitur“ zu erleben, worauf die Dresdner bereits vorbereitet sind, falls sie „You made me a monster“ im Deutschen Hygienemuseum erlebt haben. Im Kontrast dazu zwei weitere Räume voller schwingender und schwebender Geheimnisse – das ist selbst vor Ort schwer zu enträtseln.


„Equivalence“, Performance-, Raum- und Videoinstellationen von William Forsythe, Festspielhaus Hellerau, 24 bis 26. Oktober, Beginn 19/21 Uhr, 27. und 28. Oktober, Beginn 18/20 Uhr

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