Todesboten aus dem Untergrund

Das NDT II gastiert mit neuen Choreografien in Deutschland

Ludwigsburg, 27/04/2007

Vor zehn Jahren konnte man sich das Nederlands Dans Theater ohne die großen Namen Hans van Manen und Jiri Kylián kaum vorstellen. Kylián immerhin ist noch da, aber heute bewahrt allem das britisch-spanische Ehepaar Paul Lightfoot und Sol León den hohen Standard moderner Ballettchoreografie bei der traditionsreichen Truppe. Von ihrer Qualität und ihrem Einfallsreichtum zeugte das Gastspiel des NDT II im Ludwigsburger Forum am Schlosspark, Auftakt zu einer kleinen Deutschlandtour der Juniorentruppe. Wie gewohnt überrollen die jungen Wilden ihre Zuschauer vor allem durch ihre grenzenlose Energie, aber gerade in den beiden Lightfoot/León-Werken zeigten sie eine erstaunlich nuancierte, fast visionäre Interpretation.

Dazwischen gab es eine der inzwischen üblichen Collagen des Israeli Ohad Naharin. Er hat für „Spit“ eine Art Best-of aus vier verschiedenen früheren Stücken zusammengestellt, eine aufsässige Revue aus tanzenden Derwischen, die sich mit Schlamm beschmieren, einem Aufmarsch nervös zuckender Strapsträger an der Rampe und aus Paaren in Brokatkorsagen, die zu Vivaldi halbwegs zivilisiert tanzen. Das Stück endet mit der provokanten Aussage, Gott sei „eine Erfindung genau wie Pizza“. Es hat alles nicht unbedingt miteinander zu tun, bietet aber reichlich Nahrung fürs Auge und stellt den grellen, hier von einem treibenden Rhythmus grundierten Stil Naharins heraus, dessen Stücke oft frontal aufs Publikum losgehen.

Weitaus subtiler choreografieren Paul Lightfoot und Sol León, seit fünf Jahren die Hauschoreografen des NDT. Ihre rätselhafte und ungemein variable Tanzsprache konnte man in zwei Studien in Schwarzweiß bewundern, beide zur repititiven, atmosphärischen Musik des Minimalisten Philip Glass. Bei „Postscript“ wird sie live auf der Bühne gespielt; das Stück beschreitet auf kaum merkliche Weise den den Weg von links nach rechts, von hell nach dunkel, von Solo-Violine zu Klavier. Über drei Stationen wandert der Fokus von einem nervösen weißen Trio zu einem schwarzweißen Duett und dann zu einem innigen Pas de deux ganz in schwarz. Lightfoot/Leon verändern das klassische Grundvokabular mit gestreckten Beinen und schnellen Drehungen zu einer fließend-eleganten Sprache von großer Originalität. Oft geben Arme und Hände geheimnisvolle Zeichen, aus der kühlen Eleganz brechen immer wieder unterdrückte Emotionen hervor, die Choreografie spiegelt die nervöse, später düstere Stimmung der Musik wider.

Wie ein Ballett von Edgar Allan Poe wirkt „Sleight of Hand“, das erst vor einem Monat in Den Haag uraufgeführt wurde. Auf riesig hohen Stelen steht ein strenges Paar in überlangen Kleidern, das dort immer wieder in gefährliche Akrobatik ausbricht. Bedrohlich steigen schwarze Wände an den Seiten auf, am Boden unter den beiden übermächtigen Elternfiguren erscheint ein ganzes Panoptikum düsterer Gestalten: Drei Todesboten steigen langsam aus dem Orchestergraben empor und wirbeln dann in langen schwarzen Mäntel über die Bühne, ein halbnackter Verzweifelter scheint aus dem Irrenhaus entsprungen, zuletzt wird ein Paar durch den Schlussvorhang getrennt und sie muss in den Abgrund hinunter. Zu zwei Sätzen aus der zweiten Sinfonie von Philip Glass entfesseln die Choreografen die dunkle Symbolik eines Alptraums (der Titel bedeutet „Taschenspielertrick“), übrig bleibt ein geheimnisvoller Schatten auf dem Vorhang. Was für ein Reichtum an atmosphärischer Choreografie!
 

Weitere Gastspiele am 29. April in Bremerhaven, am 30. April in Oldenburg: www.ndt.nl

 

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