20 Jahre Tanztendenz in München

Basisdemokratische Strukturen als Arbeitsgrundlage

München, 03/10/2007

Tanznetz: Andreas Abele, vor 20 Jahren gründete sich die Tanztendenz in München. Wer waren die Gründungsmitglieder der Tanztendenz? 

Andreas Abele: Die Gründungsmitglieder waren Jessica Iwanson, Angelika Meindl, Micha Purucker, Brigitta Trommler und Bonger Voges. Das waren die Choreografen, die zu diesem Zeitpunkt kontinuierlich in München produzierten und die in den davor liegenden Jahren eine Förderung erhalten hatten. Die Förderungen für diese fünf wurden im Gründungsjahr dann im Einvernehmen mit dem Münchner Kulturreferat für den Ausbau der Räumlichkeiten in der Lindwurmstraße verwandt, statt sie in die laufenden Produktionen zu stecken. Die Gründer der Tanztendenz haben also einiges an Geld geopfert.

Und was war das Ziel dieses Zusammenschlusses von freien Münchner Choreografen? 

Ziel war es, die finanzielle Belastung der Kompanien für Probenräume aus der individuellen Projektförderung herauszunehmen und durch eine kontinuierliche Bereitstellung von Probenräumen, deren professionelle Verwaltung und auch durch die kontinuierliche Bezahlung von Tänzern ein professionelleres Niveau der Münchner Produktionen zu erreichen. Was ja heute keiner mehr erinnert, ist, dass im ersten Jahr auch fünf Tänzer und Tänzerinnen ganzjährig engagiert wurden, die im Turnus allen Choreografen zur Verfügung standen. Dieses Modell hat sich allerdings sehr schnell als unpraktikabel erwiesen, sodass in den darauffolgenden Jahren diese Gelder wieder in den Fördertopf zurückgingen und die Tänzer wieder stückweise von den Choreografen engagiert wurden.

Was sind die Aktivitäten der Tanztendenz? Was tut die Tanztendenz für freie Münchner Choreografen? 

Die Aktivitäten der TT sind natürlich zuerst einmal, den Mitgliedern ihre Produktionen und ihre Forschung zu ermöglichen, sei es durch die Bereitstellung von Probenraum und Logistik oder durch die Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins für Zeitgenössischen Tanz durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit. Der große Output an Tanzproduktionen in den letzten 20 Jahren in München und das Heranwachsen einer großen Zahl etablierter junger Choreografen wäre ohne die TT nicht denkbar. Die Aktivitäten sind also vorrangig die Produktionen der Mitglieder selbst. Natürlich ist die TT auch Dienstleister, aber sie hat vor allem eine künstlerische Historie mit Hunderten von Tanzproduktionen – die kann nicht groß genug herausgestellt werden. Damit verbunden ist die Möglichkeit für Mitglieder, frei vom Erfolgsdruck einer Produktion kontinuierlich mit neuen Formen zu experimentieren, Probenraum nicht nur produktgebunden zur Verfügung zu haben. Dieser Probenraum ist für Tanz extrem wichtig, denn er braucht wirklich – anders als vielleicht andere Kunstformen – Raum und das heißt Quadratmeter und die sind teuer und frei fast nicht finanzierbar. Wir fördern also die Entwicklung des Tanzes von morgen. Auch für die Produzenten, die dann mit attraktiven Produktionen arbeiten können. Die Tanztendenz stellt auch immer wieder Formate auf, in deren Rahmen Münchner Choreografen, nicht nur die der TT, ihre Arbeiten zeigen können. Oder sie organisiert den Austausch zwischen Choreografen oder Künstlern aus dem In- und Ausland und der Münchner Szene im Rahmen von Workshops oder Symposien. 

Und das Münchner Tanzpublikum? 

Für das Tanzpublikum stellt die TT vor allem Informationen zur Verfügung. Wir produzieren den Tanzkalender, in dem fast alle Institutionen des Münchner Tanzes, vom Staatsballett bis zur kleinen Studiobühne ihre Termine publizieren. Und wir haben ein Email-Versendersystem etabliert, in dem die Münchner Tanzszene und das interessierte Publikum mit den neuesten Informationen versorgt wird. Das reicht von Terminen fürs Vortanzen für ProfitänzerInnen über Tanztraining und Workshops bis zu den Veranstaltungen im Umfeld Tanz.

Wie ist die Tanztendenz organisiert und finanziert? 

Sie ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit im Augenblick 22 Mitgliedern, die die Tanztendenz autonom verwalten. Es gibt also keine Kuratoren oder künstlerische Leiter, sondern einen turnusmäßig gewählten Vorstand, der von der Mitgliederversammlung kontrolliert wird. Für die administrative Arbeit sind eine Geschäftsführerin und eine Büromanagerin fest angestellt. Für bestimmte Aktivitäten wie z.B. für die Organisation von Symposien, für Kulturpolitische Stellungnahmen etc. werden Arbeitsgruppen gebildet. Der Verein ist Mieter und Verwalter des Probenzentrums in der Lindwurmstraße. Finanziert wird der Verein mit seinen Aktivitäten durch die kontinuierliche Förderung des Kulturreferates, der LH München, durch die Jahresbeiträge und eine einmalige zinslose Einlage der Mitglieder sowie durch Einnahmen aus Vermietungen und kleineren Dienstleistungen wie Werbung im Tanzkalender oder per Postversender.

Wo liegen die Vorteile dieser Organisationsform, wo die Probleme? 

Wir sind ein ’basisdemokratischer’ Verein mit 22 Mitgliedern, das bedeutet natürlich ein erhebliches Mitspracherecht des Einzelnen in praktisch allen Belangen. Dies birgt große Chancen aber auch viel Arbeit und Risiken. Ich würde sagen die Chancen und Vorteile überwiegen bei weitem. Natürlich ist es für die einzelnen Mitglieder nicht möglich, permanent engagiert im Verein mitzureden, natürlich kann die TT in manchen Fragen möglicherweise nicht so schnell reagieren wie eine hierarchisch straff geführte Organisation, weil die Mitglieder in wichtigen Dingen mitentscheiden. Der Vorteil ist aber, dass durch die Organisationsstruktur eine Vielfalt von Herangehensweisen an Kunst ermöglicht wird, die unter einem sonst üblichen ‚Kuratorenmodell’ nicht realisierbar ist. Unter einem Kuratorium oder einer künstlerischen Leitung würden immer nur die vielversprechenden und wohl auch die in den augenblicklichen Trend passenden Produktionen mit Probenraum bedacht werden. Die Experimente, die Vielfalt blieben auf der Strecke. Die Tanztendenz dagegen bietet durch ihre Struktur ein breites Reservoir, aus dem sich die Formate, Arbeitsweisen und Produktionen von morgen, die heute noch nicht Mainstream sind, entwickeln können. Das ist ein unglaubliches künstlerisches Potential.

Gibt es in anderen Städten vergleichbare Initiativen wie Tanztendenz? 

In der gerade geschilderten Form sind mir in Deutschland keine bekannt, die in unserer Größenordnung operieren und auch kommunal gefördert werden. Tanzhäuser und Kuratorenmodelle mit zentraler Leitung gibt es genügend aber unser Modell ist zumindest in Deutschland einzigartig.

Nach welchen Kriterien werden neue Choreografen aufgenommen? 

Zunächst einmal werden nicht regelmäßig und kontinuierlich neue Mitglieder aufgenommen. Die Ausweitung von fünf auf später ca. neun und noch später auf 22 Mitglieder hat sich in zwei bis drei Wellen vollzogen. Jedes Mal waren das Beschlüsse, die lange diskutiert wurden und weitreichende Konsequenzen hatten. Heute ist die TT von der Auslastung ihres Probenraums her über der Belastungsgrenze, so dass neue Choreografen nur dann aufgenommen werden können, wenn andere austreten. Formale Kriterien für eine Aufnahme sind ein Lebensmittelpunkt in München und eine nachgewiesene professionelle Arbeitsweise. Außerdem muss eine Aufnahme mit dem Kulturreferat abgestimmt werden. Ansonsten beobachten wir natürlich die Szene in München sehr genau und suchen schon von uns aus Kontakt mit Choreografen, die uns interessant scheinen.

Gibt es auch Münchener Choreografen, die gerne dabei wären, aber nicht aufgenommen werden? 

Ja, die gibt es immer. Aufgrund von mangelnden Kapazitäten oder auch aus anderen Gründen. Die meisten von uns hatten einmal diesen Status, denn wir nehmen nur auf, wenn es von der Auslastung her möglich ist.Und dann gibt es auch eine gewisse Abgrenzung. Insofern ist es klar, dass es zu allen Zeiten Choreografen geben wird, die in der TT integriert sind und solche, die es nicht sind.
Es ist auch nicht immer notwendig, gleich Mitglied der TT zu sein. Den Probenraum können Choreografen unter gewissen Voraussetzungen zu gleichen Konditionen wie ein Mitglied haben – dieses Gastrecht haben wir vor ca. drei Jahren neu und offen gestaltet und versuchen das auch nach außen zu kommunizieren. Die Mitgliedschaft in der Tanztendenz verpflichtet aber auch zum Engagement füreinander und für die Tanzpolitik in München – das sehen sehr viele Antragsteller anders. Choreografen, die wir noch nicht kennen, geben wir lieber zuerst mal ein Gastrecht und sehen dann wie sie sich verhalten während der Probenphase. Teilen sie unsere Ziele, engagieren Sie sich in unserem Sinn? 

Sie planen gerade eine große Jubiläumsveranstaltung „20 Jahre Tanztendenz. Der Tanz geht weiter“. Was gibt es da zu sehen bzw. zu erleben? 

Zum einen wird es am Mittwoch, dem 3. Oktober in den Räumen der Tanztendenz ab 13.00 Uhr kostenlose Lectures, öffentliche Proben und Workshops mit den Choreografen der Tanztendenz geben, in denen alle Interessierten einen Einblick in unsere choreografische und pädagogische Tätigkeit bekommen können. Zum anderen ist am Freitag dem 5. Oktober um 20.00 Uhr in der Muffathalle unsere Geburtstagsveranstaltung mit Tanz, Performance und Installationen von der Mehrzahl der TT-Mitglieder unter der Regie von Gerd Neuner. Anschließend gibt es dann eine Party mit DJ und Buffet. Wir erwarten viele Gäste aus der Münchner Kulturszene, der neue Kulturreferent von München hat sich angesagt, und ich hoffe dass auch viele Freunde, Mitarbeiter und Begleiter, die die TT in den 20 Jahren mitgeprägt haben, einfinden werden. Informationen dazu gibt es im Tanzkalender oder unter www.tanztendenz.de 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Tanztendenz? 

Für die Zukunft wünschen wir uns in der Tanztendenz eine noch größere Akzeptanz in der Öffentlichkeit für die oft auch sperrige Kunstform ‚Zeitgenössischer Tanz’ und ein weiterhin und wenn möglich noch stärker gesichertes Umfeld, das die Weiterentwicklung unserer Kunstform auf eine kontinuierliche Basis stellt. Denn es ist notwendig, den Künstlern, die wegen ihrer Arbeits- und Lebensweise ja schon weitgehend auf eine soziale Sicherheit verzichten, wenigstens für ihre Produktionen ein größeres Maß an Sicherheit zu vermitteln.

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