Three Athmospheric Studies

Die Forsythe Company im Haus der Berliner Festspiele

Berlin, 04/02/2006

Noch nie hat William Forsythe sich so explizit politisch und sprachlich auf so deutliche Weise erklärt wie in „Three Atmospheric Studies“, ein Stück, das aus „Study III“ und „Clouds after Cranach“ (beide 2005) zusammengeführt und in dieser neuen Form zum ersten Mal im Haus der Berliner Festspiele gezeigt wurde. Der erste Teil beginnt mit der Erklärung einer Frau, dass ihr Sohn verhaftet worden sei. Es folgen Bewegungssequenzen, die von Aggression, Gewalt, Abwehr und Leid geprägt sind. Dynamische Tänzer kämpfen, erstarren, vereinzelte Schläge auf den Boden lösen hunderte neue Bewegungsimpulse aus. Panik entsteht durch Bombenangriffe, es herrscht ohrenbetäubender Lärm, den die Tänzer mit Mikrophon und Verzerrungstechnik selbst generieren. Finger deuten aufeinander, als wenn Schuldige denunziert würden. Durch den karg ausgestatteten Bühnenraum werden Fäden gespannt, als wenn das Ganze in unzählige Facetten zerteilt würde, um Anfangspunkte, Wendepunkte und Handlungsfäden einer Geschichte sichtbar zu machen.

Die Frau, deren Sohn im Krieg verhaftet wurde, erzählt einem Arabisch-Übersetzer ihre Geschichte. Der Übersetzer fragt nach, verdreht ihre Worte, so dass eine andere Geschichte entsteht: Sie wird damit konfrontiert, dass ihr Sohn aus Versehen, wohl durch ein Missverständnis, getötet wurde. Ein dritter Akteur konstruiert seine eigene Welt, seine eigene Wahrheit mit den durch den Raum gespannten Fäden und aus den Worten, die ihm der Übersetzer wie ein Verkäufer anbietet: „Vogel“ gebe es nicht, aber „Flugzeug“ könne er haben. Wieder werden Stimmen verfremdet, klingen monsterartig, ähnlich wie schon bei Forsythes Installation „You made me a monster“.

Im zweiten Teil setzt die Auseinandersetzung mit Gewalt und Krieg zusätzlich auf Bildmedien: Gezeigt wird das Gemälde „Klage unter dem Kreuz“ von Lucas Cranach d. Ä., eine spätmittelalterliche Darstellung der Kreuzigung Christi. Die Tänzer springen gegen die Wand, an der das Bild befestigt ist, erzeugen Geräusche wie Maschinengewehrfeuer, das Angriffsgetöse wird immer heftiger. Nach dem Angriff zählt ein Mann die Überbleibsel, identifiziert auf sachlich-biologische Weise ein Knochenstück, einen Zahn, den Rest einer Lunge. Mit der Frau, die ihren Sohn verloren hat, völlig apathisch am Boden liegt und nicht mehr reagiert, spricht ein amerikanischer Offizier im Körper von Dana Caspersen. Er erklärt ihr, dass es manchmal „some unintended results“ gebe, aber alles schon richtig verlaufe: „We cannot change the plan“. Das Werk der Zerstörung ist perfekt und der letzte Schlag kommt ebenfalls aus dem Munde des Offiziers: „We have created three atmospheric studies. The result: There is no cause for alarm.“

Beachtlich an dieser Produktion ist, dass Forsythe es versteht, in den Köpfen der Zuschauer quasi realistische Kriegsbilder ohne Requisiten und Theaterblut zu erzeugen. Dennoch könnte man am Sinn der über Cranach evozierten Anspielung auf die Kreuzigung Christi zweifeln, zumal dem Gemälde im Programmheft ein Foto aus einem nicht weiter spezifizierten modernen, aber offensichtlich arabischen Kriegsgeschehen gegenübergestellt wird. Beide Bilder sind motivisch nur durch eine Unheil verkündende Wolke verbunden. Was soll damit gemeint sein? Eine Parallelisierung des islamischen und des christlichen Opfers? Eine kontrastierende Gegenüberstellung? Eine diffuse Anspielung auf religiöse Inhalte und insbesondere auf das christliche Martyrium trägt nicht zur Präzisierung, sondern eher zur Verwässerung von Forsythes Anliegen bei.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern