Wer aussteigt, hat verloren

Nina Kurzeja lässt in Stuttgart Erwachsene „spielen wie die Kinder“

Stuttgart, 06/05/2006

Wir kennen sie alle aus unserer Schulzeit: die Turnhalle mit grünem Boden und den klassischen Benz-Turngeräten aus Holz. Ein Ort also, wo man sich an die Kindheit erinnert, an Ballspiele und Balancieren, an erste Erfahrungen von Wettbewerb, Teamgeist und Gruppendynamik. An diesem „verspielten“ Ort lässt die Stuttgarter Choreografin Nina Kurzeja ihr neuestes Werk „Spielen wie die Kinder“ stattfinden, das jetzt im Theaterhaus Premiere hatte und im Grunde ein Schauspiel mit Tanz ist.

Das Konzept dazu stammt von Kurzeja, einem der wenigen Lichtblicke in Stuttgarts freier Szene, und dem Dramaturgen Manfred Weiß: Drei Frauen und vier Männer finden sich in der Turnhalle ein, offenbar auf Grund einer ominösen Zeitungsanzeige. Zunächst tanzt sich jeder einzelne von ihnen Mut an, als ob es zu einer Audition oder zu einem Vorstellungsgespräch ginge. Aber es gibt keine Jury, keinen Chef hier, niemand der ihnen sagt, was sie tun sollen. Die sieben Personen suchen einen Autor, sie erhoffen sich etwas von dem Abend; man hat ihnen für das Experiment wohl Geld oder eine Persönlichkeitserweiterung versprochen.

Einer von ihnen hat einen Umschlag mit merkwürdigen Anweisungen bekommen, die sie nun eifrig oder widerwillig befolgen, je nachdem. Kurzejas einstündiges Stück variiert das Thema das (Er-)Wartens, des Zusammengesperrtseins – nicht so fatalistisch wie bei Beckett oder Sartre, aber mit ähnlich tiefen Einblicken in die Psyche des Menschen, in die Dynamik der zufälligen Beziehung. Nach und nach lernen wir die sieben Charaktere kennen, und manchmal auch die Schicksale dahinter, aber längst nicht alles wird erklärt. Da gibt es die Netten, um Kontakt Bemühten wie den penetrant sozialen Ronald (Ricardo Frenzel) oder den sportlichen Kumpeltyp (Christian A. Koch), der ein bisschen zu jovial ist. Es gibt die biedere Mutter, die sich offensichtlich gerne freischwimmen möchte (Brit Rodemund), die vorurteilslose Bodenständige (Berit Fromme), die eigentlich einsam ist und vielleicht einmal ein Kind verloren hat. Es gibt Eigenbrötler wie die kühle Jessica (Juliette Villemin), und manche wirken gar gefährlich wie der Störenfried Carsten (Volkhard Samuel Guist), der einfach nicht stillsitzen kann oder wie Jossup (Boris Nahálka), der sich immer wieder durch meditative Bewegungen selbst beruhigen muss.

Die Gruppe befolgt die schriftlichen Spielregeln und spielt: Autorennen, Raten oder Ball. Man tobt herum und freut sich, aber ziemlich rasch setzt eine Gruppendynamik ein, es bilden sich Sympathien, Paare, Grüppchen und immer wieder Außenseiter. Wollen die Mitspieler anfangs durch ihre Teamfähigkeit beeindrucken, so vertreiben sie sich bald nur noch die Zeit, um sich am Schluss gar zu strafen oder zu quälen, denn „wer aussteigt, hat verloren“. Getanzt wird fast weniger als gesprochen, aber Kurzejas differenzierte Solos und Duos charakterisieren die Personen und ihre Beziehungen genauso gut wie die andeutungsvollen Dialoge. Im ausdrucksstarken Ensemble ist kaum zu unterscheiden, wer nun Schauspieler und wer Tänzer ist – die glückliche Vereinigung macht dem Namen Tanztheater alle Ehre. Und wie im existenzialistischen Theater gibt es am Schluss keine Auflösung.

 

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