Eine Tanz-Revue in drei Halbzeiten

Ein Erlebnisbericht aus den 20er Jahren im „Café Berlin“

München, 12/10/2006

Abseits der gewohnten Spielorte präsentierte About Dance im Haus an der Rümannstraße ein „Tanztheater der besonderen Art“, nach einer Idee von Burkhart Grünefeld musikalisch bestückt, choreografiert und inszeniert von Stefan Haufe, der bis 2004 Ballettdirektor am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin war. An einem Buffet vorbei nimmt man mit Getränk an runden Tischen Platz und schaut, während man noch in zwei für diesen Abend aktuellen, schön gemachten Ausgaben des „Berliner Abendboten“ von 1921 schmökert, auf die offene Bühne. Auch dort kommen Gäste, Völkchen … Kellner*innen versorgen alle, nett und nostalgisch, doch schnell scheint klar, dass man als Tanzgänger nicht viel erwarten kann. Also schalten wir um, freuen uns an den Auftaktstücken wie an Einlagen auf einer Familienfeier, planen uns an einigen Ballongläsern Berliner Weiße zu delektieren und hoffen, dass sich auch der Hunger auf Schrippen bald einstellt. Schon ruft „Bel ami“, gesungen von Anette Niemeier, unsere Erinnerungen an Max Raabes fabelhaftes Vergnügen an dieser Epoche wach, und die dekorativen choreografischen Schritte (modern mit Showelementen) stören nicht mehr wirklich.

Bedenklich für den Rezensenten nur, an diesem Abend neben einer richtigen Ballerina zu sitzen, weshalb sein Genuss am munteren Hüpfen des Matrosenmädchens befangen bleibt. Doch die laszive Sinnlichkeit der danach im „Café Berlin“ auftretenden drei russischen Emigrantinnen gefällt uns, wir sehen die Nummer von Fritz, dem Zeitungsjungen, in gutem Fluss und genießen mehr und mehr die schönen Arrangements für Klavier, Cello und Klarinette. Bei der „Aufforderung zum Tanz“ mit einem Grete Wiesenthal-Reigen wird uns bewusst, dass hier doch einiges vom damaligen Zeitgeist eingefangen wird. Schließlich wird das allzu lose Divertimenti dramaturgisch gestrafft, wenn sich nach der ersten Pause die Bühnenkneipe erneut bevölkert und wir angesichts von Revuemädchen mit roter Stola in beachtlicher Schrittgeschwindigkeit unser zweites Ballonglas leeren.

Darstellerisch erweist sich nun der von Tanja Villinger getanzte Zeitungsjunge als Aktivposten eines immer interessanteren Geschehens. Da wird „Der Clou“ zu einem Tango von Otto Köpping vorgeführt, Friedrich Hollaenders „Eine Kleptomanin“ gesungen und verkörpert, schließlich zu dem süßen Lied „In einer kleinen Konditorei“ von „Gesine und Gert“ ein schöner Pas de deux getanzt. Die „Drei an der Tankstelle“ fehlen auch nicht und animieren im flotten Trio zu forciertem Trinken, sodass wir bei „Unter den Pinien“ alle Vorbehalte vergessen und helle Freude an den textlichen und musikalischen Kostbarkeiten, expressiv vorgetragen von Anette Niemeier, haben. Nach einem flotten Intermezzo ging es in die zweite Pause, und wir zählten dann die dritte Halbzeit.

Diese bietet die im mondsüchtig getragenen Solo einer Blondine getanzte elegische Romanze „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ – sinnfällig choreografiert und in schöner Einfachheit interpretiert. Das 23. Stück (!) des Abends mit dem Titel „Gemeinsam einsam“ ist mit Fritz Kreislers „Liebesleid“ unterlegt, wobei sich das gesamte Ensemble in einer immer dichter werdenden Atmosphäre wiegt, die über das melancholische Duett zweier Damen zu Hollaenders „Eine kleine Sehnsucht“ und eine veritable Salonmusik Tschaikowskys auf die Wehmut später Abschiedsstunden hinausläuft, ehe sich, nach immer gelungeneren Tänzen, hinter den bereits geschlossenen Türen des Café Berlin ein letztes Happy-End ergibt.

Man verlässt, auch mit einer in Fragen tänzerischer Qualität unerbittlichen Begleiterin, vergnügt ein phantasievoll zusammengestelltes, reichhaltiges Programm, das man getrost empfehlen kann.

 

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