„Everything is possible“

Ein Interview mit Ivan Cavallari, der als Ballettdirektor nach Australien geht

Berlin/Stuttgart, 13/12/2006

Lange Jahre war Ivan Cavallari Erster Solist beim Stuttgarter Ballett, bevor er im Jahr 2000 seine Karriere beendete. Seitdem arbeitet der sympathische Italiener als Ballettmeister und als Choreograf („Der letzte Kaiser und ich“ in Shenyang 2002, „Tschaikowski Impressionen“ in Wien 2005), außerdem studierte die großen Cranko-Handlungsballette bei vielen Ballettkompanien der ganzen Welt ein. Letzte Woche wurde Cavallaris Ernennung zum Ballettdirektor im australischen Perth bekannt, wo er ab Februar das West Australian Ballet leiten wird. Hartmut Regitz sprach mit Cavallari über seine neue Arbeitsstätte und den vorläufigen Abschied aus Stuttgart.


In China sind Sie seit 2002, als Sie „Der letzte Kaiser und ich“ fürs Liaoning Ballet choreografiert haben, kein Unbekannter mehr. In Wien kennt man Sie seit Ihren „Tschaikowsky Impressionen“ für die Wiener Volksoper als einen Buhmann der Kritik. Australien wird Sie als Direktor des West Australian Ballet kennenlernen. Wie das? 

Reiner Zufall. Über einen Freund habe ich erfahren, dass man am West Australian Ballet einen Direktor sucht, und habe mich dort „blind“, das heißt mit einer DVD beworben. Erst während der Wartezeit habe ich erforscht, was für ein Profil die Kompanie hat, und Aspekte entdeckt, die mich sehr gereizt haben: Zum einen, dass die Kompanie mit einem Orchester arbeitet, zum anderen, dass sie Handlungsballette zeigt und das Repertoire, obwohl klassisch ausgerichtet, ziemlich vielfältig ist. Ein „Schwanensee“ ist allerdings in der überlieferten Form nicht machbar. Dafür gibt es beispielsweise eine „Don Quixote Suite“ – alles stilistisch an Amerika orientiert, wie ich bei einem ersten Besuch bemerkte, aber überaus erfolgreich. Erfolgreicher als die Oper. Ballett ist beliebt in Perth. 

Ab wann läuft denn Ihr Vertrag als Künstlerischer Direktor? 

Am 29. Februar fliege ich nach Perth, um mich dort zu akklimatisieren, die Tänzer kennenzulernen und das Publikum zu verstehen. Eile ist nicht geboten. Die Saison, die traditionell im Januar beginnt und bis November dauert, ist noch von meinem Vorgänger Simon Dow bis ins letzte geplant und vorbereitet. Dow zieht sich aus privaten Gründen aus der Leitung zurück, will aber als freier Choreograf arbeiten – auch in Perth.

Simon Dow ist Stuttgarts Ballettfreunden kein Unbekannter. 

Erst aus seinem Lebenslauf habe ich erfahren, dass er vier Jahre lang dem Stuttgarter Ballett angehörte. Marcia Haydée, Reid Anderson, sie alle erinnern sich an ihn. Bei meinem Besuch in Perth habe ich ihn kennengelernt. Er war sehr herzlich und bot mir seine Unterstützung an. Dow choreografiert noch in meiner ersten Spielzeit einen Abendfüller, „Alice in Wonderland“. Im Februar hat ein gemischter Ballettabend Premiere. Später wird als Wiederaufnahme noch eine moderne „Coppélia“ gezeigt. 

Erfüllen Sie sich mit der Direktion eines Lebenstraum, und haben Sie zielstrebig darauf hingearbeitet? 

Es hat sich wie von selbst entwickelt – ohne viel Dazutun. Ursprünglich wollte ich eine solche Verantwortung nicht übernehmen, auch wenn es unbewusst vielleicht diesen Ehrgeiz gegeben hat, es eines Tags zu werden. Doch die sechs Jahren nach meiner Trennung vom Stuttgarter Ballett, die übrigens auf eigenem Wunsch erfolgte, habe ich als Lehrzeit begriffen, in denen ich viel Unterricht gegeben, choreografiert und Cranko-Ballette einstudiert habe. Man könnte fast sagen, dass ich die Bewerbung auf die leichte Schulter genommen habe. Umso größer die Freude über die Ernennung: Nach zwanzig Jahren Stuttgart war einfach die Zeit für einen Wechsel gekommen.

Sie müssen die Verantwortlichen mit einer Vision dessen, was Sie in Perth für möglich halten, überzeugt haben. 

Perth steht geografisch isoliert da. Deswegen kämpfe ich um eine klassisch ausgerichtete Schule, damit die künftigen Direktoren einer Tänzerreservoir haben, aus dem sie schöpfen können. Was das Repertoire betrifft, versuche ich eine Balance zu schaffen zwischen australischen und internationalen Choreografen. Ich möchte die Kreativität der Kompanie erhalten und das Publikum langsam auf Neues vorbereiten. Die Zuschauer sind an Titel wie „The Red Shoes“ oder „Alice in Wonderland“ gewöhnt, d. h. etwas süßlichere Sachen.

Sie können Sie ihnen nicht auf einmal Saures geben? 

Genau. Ballette wie „Lulu“ oder „I fratelli“ sind in Perth noch nicht denkbar. Meinen „Tschaikowsky“ kann ich mir in einer überarbeiteten Version dagegen gut vorstellen. 

In Perth treffen Sie auf eine alte Bekannte aus Stuttgarter Tagen: Margaret Illmann, die an der Western Australian Academy of the Performing Arts als Classical Ballet Coordinator und Lecturer wirkt. Sehen Sie die Möglichkeit einer Zusammenarbeit?

Sie wäre gerne Ballettmeisterin. Aber ich bin nicht gekommen, um gleich das halbe Ensemble zu feuern, sondern will in der täglichen Arbeit sehen, was möglich ist. Auf jeden Fall kommt Margaret als Gast. Und falls ich meine Schule durchgesetzt habe, könnte ich sie mir dort als Direktorin vorstellen.

Und Stuttgart? Brechen Sie Ihre Zelte ab? 

Ich habe zunächst einen Drei-Jahres-Vertrag und muss sehen, wie sich mein Engagement entwickelt. Zwei Monate lang kann ich jedenfalls meinen anderen Verpflichtungen nachkommen, um beispielsweise in Shenyang ein Stück für die Olympischen Spiele zu choreografieren. Ich bin zuversichtlich, was meine Arbeit betrifft. „Everything is possible“ hat man mir bei meinem Vorstellungsgespräch gesagt: Grund genug für Optimismus. Denn was das Tolle ist an Perth: Es herrschen dort geradezu paradiesische Zustände, was das Wetter betrifft. Ich kann dort nach meiner anstrengenden Arbeit im Ozean schwimmen. Und 350 Tage im Jahr gibt's in Perth einen blauen Himmel.

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