Die Schwarze Venus der Music Halls

Zum hundertsten Geburtstag von Josephine Baker

oe
Stuttgart, 03/06/2006

Ein wahrlich fabelhaftes Leben, wie es der Titel verspricht, knapp neunundsechzig Jahre lang! Am heutigen Samstag hätte sie ihren hundertsten Geburtstag feiern können: Josephine Baker, ein halbes Jahrhundert lang Superstar der Cabarets und Music-Halls. Eine Karriere, die sie aus ärmlichsten Verhältnissen im Sumpf des Mississippi-Deltas zur Schlossherrin eines Dornröschen-Châteaus in der Dordogne aufsteigen ließ. Ein Leben, das einen Biografen verdient hätte, den ich mir wie eine Mischung aus Harriet Beecher Stowe (die Autorin von „Onkel Toms Hütte“) und Francis Scott Fitzgerald (der Mann, der den „Großen Gatsby“ erfand), mit dem Atem eines William Faulkner vorstelle.

Der Mann ist Peter Eckhart Reichel als Autor und Regisseur der Hörcollage „Das fabelhafte Leben der Josephine Baker“ nicht. Doch wie er es fertig bringt, dieses Leben mittels zahlreicher Zitate und 19 Originalaufnahmen auf drei CDs in 229 Minuten nachzuerzählen, ist eine Tour de force sondergleichen. Man fühlt sich wie von einem Tornado durch die Jahrzehnte dieses Lebens gepeitscht, angejazzt von den elektrisierenden Rhythmen des Charleston. Ärmster Leute Kind, Tänzerin, Sängerin, Revuestar, angeschwärmt von den begehrenswertesten Männern der Welt, Geheimagentin der französischen Résistance, Kämpferin gegen jede Art von Rassismus, Galionsfigur der Black-Conscious-Bewegung, Mutter von zwölf Adoptivkindern aller Hautfarben und Kontinente, glich ihr Leben einer Achterbahnfahrt zwischen tiefsten Abgründen und schwindelerregenden Höhen.

Auch wenn die Sprechstimme von Regina Lemnitz als Josephine so ganz anders klingt – quasi gereinigt von all den Schründen, dem Gossen-Vitriol und den Verräucherungen ihres Lebens in extremis – als ihr blechern-scheppernder Singsong als tanzende Chansonniere, so vermittelt die Hörcollage doch ein überaus lebendiges Bild von dieser Frau, die André Levinson, der berühmteste Tanzkritiker seiner Zeit, so beschrieb: „Einige ihrer Posen, mit ihrer einwärts gekrümmten Taille, ihrem vorwärts schießenden Rumpf, ihren verschränkten und sich in die Höhe windenden Armen, die wie ein phallisches Symbol wirken, suggerierte sie die Wunder einer aristokratischen schwarzen Statue: sie ist nicht länger ein tanzendes Girl ... sie ist die Schwarze Venus, die Baudelaire verfolgte.“ Eine Frau mit einem faszinierenden Charisma, aufgeladen mit einer Erotik, die in jeder ihrer Bewegungen, aus jedem ihrer Blicke aufblitzte. So habe ich sie noch 1964 (als Achtundfünfzigjährige) in New York auf der Bühne erlebt, ihr reptilienhaft geschmeidiger Körper nur mit jenem berühmt-berüchtigten Gürtel aus Bananen bekleidet, während sie ihr „Yes, We Have No Bananas“ plärrte. Unvergesslich! Übrigens als Tripel-Kassette mit einem ausnahmsweise höchst informativen Begleitheft (Edition Berliner Musenkinder, 3 CDs, duophon records 07103, 229´).

Kommentare

Noch keine Beiträge