Die Göttliche des Tanzes

Eine DVD huldigt Maya Plissetskaya

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Stuttgart, 14/11/2006

Wer oder was ist eine Diva? Laut Duden ist sie eine Göttliche – eine gefeierte Sängerin, auch eine Filmschauspielerin, die durch exzentrische Allüren von sich reden macht. Die Callas war wohl eine – und vor ihr schon die Garbo. Im Tanz begegnet die Zuschreibung als Diva eher selten. Noch Diaghilews Ballets Russes kamen ohne Diva aus – die Karsavina war jedenfalls keine (eher schon Nijinsky). Die Fonteyn, die Ulanowa? Ich kann mich nicht daran erinnern! Und etwas näher dran: die Haydée? Jedenfalls ist es kein offizieller Titel – eher eine Huldigungsadresse, die sich irgendein Journalist hat einfallen lassen. Die kürzlich erschienene DVD „Maya Plisetskaya – Diva of Dance“ definiert sie als „in every sense an exceptional personality“, und dem kann man wohl beipflichten (EuroArts 2054938, Excerpts from Raymonda, Carmen Suite, Romeo and Juliet, Swan Lake, Don Quixote, Spartacus, Laurencia, Walpurgis Night, Isadora – Complete performances of Bach Prélude, The Dying Swan und Béjarts Boléro, 71´ plus 53´ für ein russisches Interview mit ihr und ihrem Mann, dem Komponisten Rodion Schtschedrin, mit englischen, deutschen und französischen Untertiteln).

Die tänzerischen Ausschnitte zeigen sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Primaballerina assoluta des Bolschoi-Ballets, die meisten mit Partnern wie Fadejetschew, Schdanow, Tichonow, Begak und Liepa – leicht angegilbt, aber ausnahmslos alle sehr persönlichkeitsgeprägt (besonders interessant der leider sehr kurze Ausschnitte aus der Jakobson-Uraufführungsversion von „Spartakus“). Die „Boléro“-Aufnahme mit der Béjart-Kompanie stammt aus dem Jahr 1977. Man bewundert ihre hochgradige technische Virtuosität, verbunden mit ihrer instinktiven Musikalität und ihre einmalige – jawohl: absolut einmalige – Liquididät, besonders natürlich im „Sterbenden Schwan“ (den sie, wie sie behauptet, wohl an die 20 bis 30 000 Mal getanzt hat), und natürlich die dramatische Expressivität aller ihrer Interpretationen.

Scheinbar ganz bescheiden, gar nicht Diva-haft (also mit exzentrischen Allüren), gibt sie sich an der Seite ihres Gatten im Interview, sehr damenhaft elegant in den wohl Dutzenden von Roben, die ihr der Freund Pierre Cardin auf den Leib geschneidert hat: die reinste Modenschau. Dort erzählt sie aus ihrem höchst abwechslungsreichen Leben, ganz auf ihre Kunst bezogen, die unvermeidlichen politischen Implikationen ihrer Karriere gerade mal am Rande erwähnend. Dabei betont sie als Primärtugenden ihrer Rollengestaltungen (im Gegensatz zu ihren „Partien“ – am langweiligsten in dem „Bach Prélude“ von Messerer) deren dramatisch-theatralische Substanz und die unterschiedlichen stilistischen Raffinessen. Nein, wenn ich die großen Ballerinen der letzten sechzig Jahre meiner journalistischen Aktivitäten auf dem Laufsteg meiner Phantasie Revue passieren lasse – Markova, Alonso, Ulanowa, Chauviré, Fonteyn, Haydée, Makarova, Guillem – so würde ich wohl keine von ihnen als Diva bezeichnen. Und Plissetskaya? Ich weiß nicht recht!

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