Gewalt unter einer Dornenkrone aus Neonröhren

Felix Ruckerts „Messiah Game“ peitscht Jesus die Lust ein

Berlin, 21/10/2005

Einzeln laufen die zehn Darsteller aus dem Saal des Tacheles auf die leere Szene und verstricken sich zu wummerndem Klang in attackenhaft flüchtigen Begegnungen. Anspringen, auf das der Partner blitzschnell reagieren muss, und Hebungen und „Flüge“ bringen den Raum rasch zum Vibrieren, erhitzen die Atmosphäre. Zwei Männer werfen wiederholt eine Frau hoch, andere warten am Rand auf ihre Gelegenheit, einzugreifen. Christian Meyers Musik treibt die Akteure an; was diese indes innerlich treibt, ist noch nicht auszumachen.

Als Liegende mit der Körperlast ihrer Partner beschwert werden, zwei Frauen an einem Mann zerren, so wie einst Mänaden im religiösen Rausch Dionysos zerfetzt haben mögen, ahnt man, dass Felix Ruckert auch diesmal seinem Markenzeichen, Extreme auf die Bühne zu stellen, gerecht wird. „Messiah Game“ nennt er die neue Produktion, uraufgeführt unlängst in Düsseldorf, als gekürzte Neufassung nun in Berlin zu sehen. Zwei Frauen verbeißen sich in einen rüden Ringkampf um Unterwerfung und Gefügigmachen. Gewalt gerät auch im weiteren zu einem legalen Mittel der Kommunikation, zu einer Sonderform der Zärtlichkeit. Grenzen werden nicht akzeptiert, alles ist erlaubt, dem Gegner maximal nah zu treten. Auch wenn es keine klare Rollenzuteilung gibt, tauchen regelmäßig Konstellationen auf, die an die Heilandsgeschichte erinnern. Tänzer werden etwa getragen wie man es nach der Kreuzabnahme aus der bildenden Kunst kennt. Dass der Getragene dabei auseinandergezogen wird wie auf einer Streckbank, mischt Akzente von Schmerzeslust bei.

Als der Gezerrte sich nackt in einem Solo voller Aufbäumen und Stürzen unter einem Gewirr von Neonröhren wie unter einer riesig leuchtenden Dornenkrone entlädt, scheint wieder christliche Assoziation auf. In Gemeinschaft dreier gleichfalls nackter Jünger lässt er in blindem Untätigsein alle Verführungsversuche der Weiblichkeit an sich abprallen. Doch Ruckert, der seine Kompanie seit 1994 führt und mit bisher 17 Stücken überwiegend provozierte, geht es nicht um biedere Bibelillustration. Sex war es, proklamiert er, der die Jesus-Connection umtrieb. So verhakeln sich lüstern die Beine zweier halbnackt an der Wand lehnender Frauen. Die Abendmahlstafel um einen illuminierten Tisch zeigt in stehenden Bildern Szenen eines imposanten Freudenlagers.

In gekrümmten Füßen und Händen, als habe Grünewald sie gemalt, büßt tanzend eine Frau, ehe in Gruppen drei Jesus-Gestalten genießerisch das Martyrium erleiden: Gekratzt, gezerrt, geschlagen werden sie, bis die Haut der Flagellierten sich rötet und sie sich losreißen und in explosivem Tanztaumel befreien. Damit endet abrupt, was Felix Ruckert mit potenter Mannschaft 90 Minuten lang unbefangen zur Dualität von religiöser Raserei und Lustgewinn beizutragen weiß und womit er den Zuschauer über weite Strecken zu fesseln vermag. Auch ein Lustgewinn.

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