Festival Polyzentral

Eröffnung mit Cie. 1er Temps (Senegal): „Impro-Visé_2 / Pression“

Hamburg, 04/03/2005

Sie begegnen sich wie zufällig: drei Männer und eine Frau auf einer Fläche, die Straße, Strand, Hof, Feld sein kann. Andréya Ouama, Choreograph der 1er Temps Compagnie (gegründet 2000 in Dakar), erzählt in seinem Stück „Pression“ keine Handlung, stellt lediglich Augenblicke der Begegnung, der Isolation in den Raum. Das mögen vielleicht Zitate, Andeutungen, Momente aus dem Leben in Dörfern des nordwestafrikanischen Senegal oder einer Stadt sein – mir hat sich ein tieferer Zusammenhang nicht ergeben, wohl aus mangelnder Kenntnis der landeseigenen Begebenheiten. Vielleicht auch wegen der nicht genügend scharf konturierten Szenen, die zu beliebig im Ungefähren blieben. Es zieht sich zäh hin bis zum Finale, als plötzlich Spannung entsteht, eine Dreierformation mit weit ausholenden Schritten die Fläche raumgreifend mit Kraft und Dynamik erobert, als aus einem Duo eine Hass-Liebe-Stimmung aufflammt. Sie zieht ihn, einen etwas korpulenten Tänzer, nach vorn, richtet ihn mit einem Griff an den Hals auf, umfährt mit der Hand sein schweißnasses Gesicht – schnellere Wiederholungen mit Variationen folgen.

Zum Schluss geht Ouama zur Seite in ein Lichtrechteck, in dem er zu Beginn mit einem ellenlangen, wie improvisiert wirkenden Solo seinen Torso durchgeknetet hat, die restlichen Drei sitzen im Hintergrund auf einer Bank unter einem Schutzdach. Blackout. Die sehr heterogene Musikbegleitung speist sich offenbar teils aus einheimischen Gesängen, teils aus arrangierten, komponierten Songs. Nähere Erläuterungen dazu gab es nicht in der Pressemappe, die Ouama und seine Gruppe sowie die Choreographien lediglich in Französisch vorstellte.

Abläufe entwickeln sich bei Ouama nicht fließend, ruckhafte Unterbrechungen verhindern absichtsvoll eine ununterbrochene Linie. Weit ausgreifende Bewegungen der auffällig langen Arme kontrastieren mit zusammengezogenen, minimalistisch in der Enge ablaufenden über den gebeugten Ellbogen, die abgeknickten Handgelenke, die in sich gekrümmten Finger, die sich kaum je zur Streckung öffnen. Die Arme tragen den Ausdruck, werden ergänzt durch oft einander widerstrebende Verschiebungen des nackten Oberkörpers, eingestreut sind vereinzelte Sprünge, Mimik spielt keine Rolle, die Miene bleibt stoisch - bis auf ein Lach-Duo in Impro-Visé_2, der zweiten Choreographie des etwa 80-minütigen Abends. Zu hellem Stimmengewirr schälen sich darin zwei Gestalten, Frau und Mann, im Halbdunkel aus Kartons, als hätten sie darin übernachtet. Sie dehnen zum Knistern von zerknülltem Papier, in und um die Kartons herum ausgebreitet.

Fatou Cissé im eng anliegendem Kleidchen - lange Beine, schmale Arme, kindlich verwundert schauendes Gesicht – fordert geradezu den Klischee-Ausdruck „wie ein Gazelle“ heraus. Sie absolviert ihren Part mit konzentrierter Ruhe. Andréya Ouama zeigt muskulöse Arme und einen durchtrainierten Oberköper mit staunenswerter Flexibilität. Kontakte zwischen den beiden entstehen selten. Sie springt ihn einmal an, rutscht an ihm herunter. Sie kitzelt ihn, er zieht eine Lachgrimasse: Ihre Körper scheinen zu lachen. Ein faszinierender Augenblick. Dann vollführt er ein Solo, während sie dazu Text in einem Sprachmischmasch mit französischen Brocken spricht.

Mir scheint Cie. 1er Temps über die Selbstbespiegelung zu selten hinauszukommen, kaum wirksam über den regionalen Umkreis hinaus, weil nicht übersetzt in eine theatralisch farbige, profilierte Tanzsprache.

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