Kitty Haine-Wirthmiller: „Kinderballett 1759-1983 der Bayerischen Staatsoper München“

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Stuttgart, 24/08/2004

Dies ist ein von ausgesprochen persönlicher Liebe inspirierter privater Erinnerungsband an 225 Jahre einer Münchner Einrichtung: die 1759 von Niklas Duboisson de Chalandray, Ballettmeister am Münchner Residenztheater, gegründete Ballettschule, die bis 1983 existierte und dann in der Ballettakademie der Hochschule für Musik/Heinz Bosl Stiftung aufging. Zusammengestellt hat ihn Katharina Charlotte Wirthmiller alias Kitty Haine-Wirthmiller, die 23 Tage älter ist als ich (und ich könnte mir vorstellen, dass sie genau so stolz wie ich darauf ist, zum „großen“ Ballettjahrgang 1927 zu gehören: Maurice Béjart, Juri Grigorowitsch, John Cranko, Erich Walter, Pavel Smok!) und von 1934 bis 1964 der Bayerischen Staatsoper verbunden war, erst als Schülerin im Kinderballett, dann als Ensemblemitglied und zuletzt als Leiterin der Kinderballettschule.

Es ist ein Band, in dem man nicht ohne Rührung blättert, weil er so viele Namen ins Gedächtnis zurückruft, die Ballettgeschichte gemacht haben – angefangen bei Mozart, dessen „Idomeneo“ ja an diesem Hause 1781 seine Uraufführung erlebte, mit dem großen Ballett Nr. 32, in dem ganz bestimmt auch die Kinder mitgewirkt haben (im Allegretto, sempre piano – im finalen Più Allegro?). Ein Band, reich bestückt mit Fotos – der mit mancherlei historischen Fakten aufwartet, die man schmunzelnd zur Kenntnis nimmt (vielleicht sind sie ja einem schon früher einmal begegnet, inzwischen aber wieder völlig vergessen worden). Dazu gehört nicht zuletzt die Bewerbung George Balanchines 1930 (vier Jahre vor seiner Übersiedelung nach Amerika!) als Ballettmeister um die Nachfolge des so tragisch früh verstorbenen Heinrich Kröller. Wenn man einmal versucht, sich das vorzustellen: der damals 26jährige Balanchine als Chef des Münchner Opernballetts und der attachierten Schule: the Munich City Ballet und der School of German Ballet!

Unmöglich, durch diese 125 Seiten zu zappen, ohne sich einer Nostalgie-Attacke zu erwehren. Wie schön, wieder einmal an das segensvolle Wirken der beiden so überaus kultivierten Pia und Pino Mlakar erinnert zu werden, an Marcel Luipart, Rudolf Kölling („Ich habe noch als Horrorvision ‚Le Sacre du Printemps‘ in Erinnerung, wo Ballettmeister Rudolf Kölling noch bei der Vorstellung aus der Kulisse heraus seine Tänzer mit mehr oder weniger richtigem Zählen zu unterstützen glaubte, während die Kinnladen seiner Opfer, mitzählenderweise, rauf und runter klappten“), Victor Gsovsky, Heinz Rosen und Alan Carter, an Franz Bauer, Heino Hallhuber und Bika Nitschkoff – auch an die Kritiker Walter Panowsky und Karl Heinz Ruppel. Allein in den fünf Jahren von 1959 bis 1964 war das Kinderballett an 514 Vorstellungen und 18 Premieren beteiligt.

Und immer wieder weist sie darauf hin, wie wichtig diese ganz frühen Aktivitäten im Kinderballett für den weiteren Lebenslauf dieser Sprösslinge geworden sind – darin ist sie eine legitime Vorläuferin von Katja Schneider und ihrem kürzlich veröffentlichten „Alle Kinder tanzen gern“ (siehe kj vom 21. Juli). Ein besonderes Kapitel widmet die Autorin am Schluss der „Erinnerung an Heinz Bosl“ – und man spürt förmlich die Beschleunigung ihres Herzschlags, wenn sie berichtet, wie sie ihm bei der Abschlussprüfung 1961 unter größten Gewissensqualen nur eine 2 geben konnte („in kreativer Hinsicht war eine Blockade, eine Hemmung, Heinz getraute sich nicht, einfach loszutanzen, sondern fügte die Schritte, die er kannte, brav aneinander. Seine Phantasie schien zu schlummern“). Wie dann aber durch seine Begegnung mit Cranko all seine kreativen Energien geweckt wurden und sie bei einer Münchner Premierenfeier Bosl und Cranko gegenüber saß: „Da hörte ich plötzlich Cranko zu Heinz sagen: ‚Now you are an artist.‘ Heinz sah zu mir herüber, und ich kann mein Gefühl nicht beschreiben, von Cranko bestätigt worden zu sein.“ Man könnte es auch ein Poesiealbum der Liebe zum Tanz nennen! Es hat keine ISBN Nummer, keinen Verlag, und kaufen kann man es auch nicht.

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