Ein sehr viktorianischer „Sommernachtstraum“

Frederick Ashtons „The Dream“ auf DVD

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Stuttgart, 27/12/2004

Eine Produktion der „Dance in America“-Serie von WNET New York, getanzt vom American Ballet Theatre – wüsste man‘s nicht, würde man sie glatt für ein englisches Produkt halten: die DVD von Frederick Ashtons „The Dream“ (auf Arthaus Musik 100 456, 54 Minuten). Dabei handelt sich‘s allerdings um eine ausgesprochen englische Ballett-Lesart von Shakespeares Komödie, ganz aus dem Geiste des viktorianischen Zeitalters – so dass ich sie mir gut als Galavorstellung für Queen Victoria vorstellen könnte.

Es hat seit Petipa (1876) eine Vielzahl von Balletten dieser Komödie gegeben – darunter von so profilierten Choreografen wie Fokine, Balanchine, Neumeier, Spoerli, Schilling, Vámos und Breuer bis zu Bigonzetti (der neben Schilling einer der wenigen war, die nicht auf die Schauspielmusik von Mendelssohn zurückgegriffen haben). Ich muss gestehen, dass ich mich für Ashton schon bei der Uraufführung vor vierzig Jahren nicht sonderlich erwärmen konnte (und auch für Balanchine nur mit erheblichen Skrupeln) – trotz der Premierenbesetzung mit Sibley, Dowell und Grant. Mir liegen da eher Neumeier und Spoerli – weil sie vielschichtiger sind und auch auf die anarchischen Unterströmungen des panischen Verwirrspiels eingehen (was mir nach Jan Kott und Peter Brooks Inszenierung unabdingbar erscheint).

Ashton kommt mir da doch allzu harmlos und neckisch vor – obgleich er sich natürlich darauf berufen kann, dass auch Mendelssohns Musik von der Elementargewalt des Eros wenig spüren lässt. Man kann Ashton schlecht vorwerfen, dass er nicht choreografiert hat, was er nicht choreografieren wollte. Und aus seiner Sicht ist dabei zweifellos eine hübsche Ballett-Pläsanterie herausgekommen, erzmusikalisch, grundprofessionell, wunderbar kantabel (trotz aller technischen Schwierigkeiten), eine Demonstration guter englischer Manieren, in einem sehr englischen Rahmen (Dekor und Kostüme von David Walker).

Sie wird von den Mitgliedern des American Ballet Theatre exzellent getanzt, doch ist man bei Alessandra Ferri als Titania und Ethan Stiefel als Oberon froh, wenn sie endlich in ihrem großen Pas de deux ihre lupenreine Hohe Schule des klassisch-akademischen Tanzes demonstrieren können, frei von allen eher forciert grimassierten pantomimischen Exkursen. Das gilt verstärkt auch für den brasilianischen Puck des dreiundzwanzigjährigen Herman Cornejo, der zwar seine technischen Kapriolen brillant absolviert aber in seinem Zottelkostüm wie aus einer englischen Weihnachtspantomime entsprungen herumkaspert. Da hätte ich mir zur Feier des hundertjährigen Ashton-Jubiläums doch lieber eine DVD mit seinen „Symphonic Variations“ (oder seiner „Ondine“) gewünscht.

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