„Dorian Gray“

Oscar Wildes berühmter Roman als Ballett

Schwerin, 30/11/2004

Zwei Bühneneffekte rahmen das Geschehen von „Dorian Gray“, der neuen Ballettproduktion am Schweriner Staatstheater, wirkungsvoll ein: Zu Beginn recken sich Arme aus einem blau beleuchteten Menschenklumpen in der Mitte der Bühne, die Gruppe rollt auseinander zu einem Kreis am Boden, löst sich auf in kleinere Formationen. Zum Schlussbild hebt sich die dreistufige Säulenwand im Hintergrund, der Blick öffnet sich zu einem scheinbar grenzenlosen Raum, über den Nebelschwaden spiralförmig wabern. Darunter schreitet Dorian Gray in der Unendlichkeit. Gastchoreograf Marc Bogaerts verzichtet darauf, ihn wie in Oscar Wildes bekannter Vorlage für seine Gier nach ewiger Schönheit und ununterbrochener Lust zu bestrafen, fast versöhnlich ist hier das Ende des Amoralisten. Zwischen diesen Polen entwickelt er seinen Plot – oder versucht es zumindest, meist weichgespült, manchmal treffend.

Der Schweizer Max Langes schuf die Musik zur Premiere im Februar 1966 am Theater Basel. Waslaw Orlikowsky choreografierte. Die Musik ist besonders in den Streicherpassagen hörbar beeinflusst von Langes Landmann Frank Martin, daneben setzt er jazzigen Bigband-Sound ein, greift auch zu Musicalklängen, lässt es in den Schlagzeugabschnitten gewaltig krachen: eine durchaus praktikable Musik, wenn auch ohne eigene Handschrift. Knackig interpretiert wird sie vom Orchester unter Leitung von Peter Marschik.

Zur seiner ersten Premiere hat sich Schwerins neuer Ballettchef Jens Urbich den renommierten Belgier Bogaerts geholt. Im krassen Gegensatz zu seinem Vorgänger Stefan Haufe will Urbich nicht selbst die großen Abende gestalten. Bogaerts schöpft aus dem Fundus klassischer Schritte, aufgepeppt mit modernem Material wie aus der strengen Form rudernden Armbewegungen. Dorian Grays Markenzeichen ist bezeichnenderweise die Attitude als Symbol der absoluten Schönheit. Bogaerts verzichtet auf ein Gemälde, setzt stattdessen eine Art Spiegelbild ein, in dem Dorians mehr und mehr verkrümmtes Alter Ego erscheint, zerstört durch die Laster und das Alter. Er hangelt sich Wildes Roman entlang, vermag aber weder den jeweiligen Personen noch den Situationen durchwegs scharfes Profil zu geben. Zu spektakulären Momenten reicht es bis auf die zwei eingangs erwähnten nicht. Dazu tragen die Kostüme (Giselher Pilz) bei, die teils eher wie Trainingsklamotten wirken. In Kammern, eingelassen in die Säulenwand (Bühnenbild: Lutz Kreisel), verschwinden ohne weiteres Dorians Opfer, ihnen entsteigen seine Albträume, sechs Frauen nähern sich ihm bedrohlich, tanzen die Abfolge der vier kleinen Schwäne - wenn auch zu Langes Musik – und fallen um. Die scheintoten Frauen werden von Männern erweckt. Alle quetschen sich wieder in ihre Kammern zurück. War da was, fragt man sich als Zuschauer. Immer wieder wird Dorians innere Stimme (Katrin Sitz) eingefügt. Sie singt nette Vokalisen, taucht mal mit einer durchsichtigen Halbmaske auf. Ein wenig unbedarft wirkt es. Grauen und Entsetzen, leidenschaftliches Begehren und rasende Wut bleiben weitgehend draußen, Bogaerts geht kaum je über das ästhetische Maß nicht hinaus, verharrt im letztlich Unverbindlichen. Gut gelingt ihm die Szene, als sich Dorian in die Julia auf der Bühne verliebt. Kaum erscheint die Darstellerin Sybill (Jelena-Ana Stupar) nach der Vorstellung in privatem Kleid, stößt er sie weg, holt ihr Kostüm und stülpt es ihr gewaltsam über. Wie eine Todgeweihte tanzt sie ein paar Schritte, bevor sie von Dorian in die Kammer geschickt wird.

Als Dorian debütiert der gut aussehende Rustam Savrasov anstelle des verletzten José Martinez Grau. Meist unbewegten Gesichtes absolviert er stoisch seinen konditionell fordernden Part: gut platziert, fließende Armführung, delikate Beinführung, sprungkräftig mit weicher Landung. Am Ausdruck sollte er noch kräftig feilen. Daran lässt es Kellymarie Sullivan nicht fehlen: Sie presst als rot gekleidete Victoria, Frau des Verderbers Lord Henry, in einem Solo alles Verlangen nach Dorian heraus und schafft es beinahe, die schwache Choreografie vergessen zu machen. Sehr präsent sind auch David Ziegler als James (Bruder Sybills) und Marion Schwarz als das Mädchen. Auf diese Solisten und das Ensemble kann man bauen. Ob sich aber an einem mittelgroßen Theater wie Schwerin die Idee, einen Ballettchef ohne choreografische Ambitionen oder Fähigkeiten zu holen, als fruchtbar erweist, wage ich zu bezweifeln, befürchte eher eine Beliebigkeit, mangelndes Eigenprofil – wie beim soliden Ballettabend „Dorian Gray“.

Premiere am 15.10.04, besprochene Aufführung: 28.11.04

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