„Isadora Duncan“

Ballettabend im Volkstheater Rostock

Rostock, 18/04/2003

Von der Doberaner Straße zurückgesetzt, wird das Volkstheater Rostock von einem Ortsunkundigen leicht übersehen. Der Komplex ist in einen Abhang hineingebaut: Oben betritt man über einen Vorplatz die nüchterne Kassenhalle, klettert über eine lange Treppe hinab wie zu einer U-Bahn-Station, landet erst im Garderobenraum, dann in einer Art Aufenthaltssaal, nichts weniger als gemütlich. Von dort verteilt sich das Publikum in den anschließenden Zuschauerraum. Kein Wunder, dass allenthalben nach einem neuen Haus gerufen wird. Aber die Stadt Rostock ist finanziell klamm; vielleicht sorgen die Olympischen Segelspiele, wenn sie denn an die Hansestadt vergeben werden, für einen Geldschub.

„Isadora Duncan –- Gefangene des Tanzes“ wird gegeben, eine kühn als Tanztheater ausgewiesene Produktion von Ballettchef Tomasz Kajdanski, der zum Ende der Spielzeit das Theater verlässt. Im Hintergrund der Bühne ein querlaufendes Podest, über das die Duncan -– achtfach besetzt -– ab und an wirkungsvoll auftritt, der Raum ist umgeben von drehbaren Wänden, auf einer Seite Spiegel, auf der anderen abstrakte Zeichen (Dorin Gal, auch Kostüme). Kajdanski hangelt sich an markanten (Lebens-) Stellen der Duncan-Biographie entlang: Ausbruch aus der klassischen Routine, Erfolge vor Publikum und in der Gesellschaft, Misserfolg auf Tourneen, unglückliche Liebschaften, Tod ihrer Kinder, ihr eigenes Sterben durch den Schal, der sich um das Rad eines offenen Bugattis wickelt: Genickbruch.

Wer die Biographie der Duncan nicht genau kennt, sieht nur Momentaufnahmen, Episoden, die nicht aus sich heraus durch Tanz Profil gewinnen. Lediglich von außen - Programmheft - wird ihnen eine Bedeutung zugewiesen. Nirgends wird deutlich, dass die Duncan eine „Gefangene des Tanzes“ ist, dass sie den Tanz allein durch ihr Beispiel revolutionierte, auch wenn sie keinen übertragbaren Bewegungskodex schuf. Kajdanski versucht, den Aufbruch zu zeigen, indem er an den Anfang ein klassisches Ballettensemble stellt, mit Tänzerinnen im Tutu, aber ohne Spitzenschuhe - vermutlich, weil ihre Technik nicht ausreicht. Dazu stößt die Duncan in Grün, zieht alle Frauen, nicht jedoch die Männer, ohne weiteres auf ihre Seite. Hier zeigt sich das erste Manko: Für die Duncan vermag Kajdanski kein eigenständiges Bewegungsmaterial zu entwickeln, im Gegenteil tanzt sie, je mehr der Abend fortschreitet, desto klassischer, desto professioneller -– keine Spur mehr von der im besten Sinne naiven, unbefangen Grenzen übertretenden Persönlichkeit. Das zweite Manko: Nirgends erscheint die Gesellschaft als Kontrapunkt zu ihren revolutionären Tanzbestrebungen, ihrem wohl doch schockierenden Freigeist, der sich um die Moral wenig scherte, glaubt man den Quellen. Die Begegnungen mit ihren Liebhabern vollziehen sich in intimen Rahmen, konventionell bis auf den Pas de deux mit dem Millionär Singer, der an, auf, hinter einem roten Sofa faszinierend zwischen grotesker Anmache und echter Hingabe changiert, die Szene eingehüllt von hohen, weißen Schleiern. Die aufgefahrenen Klischees wie Amerika gleich Jeans und Cowboyhüte plus brutal nackter Oberkörper der Männer, als ihre misslungene USA-Tournee „dran ist“, und Sowjetunion gleich roter Kaderblock mit ebensolchen Fahnen, wenn ihre „sozialistischen“ Tendenzen Thema sind, werden bierernst präsentiert, Ironie scheint nicht gewollt. Das sehr heterogene Ensemble hat seine liebe Mühe, die Gruppenbewegungen einigermaßen synchron abspulen zu lassen. Vollends in die Mottenkiste eindimensionaler Zeigefingerkunst greift Kajdanski mit dem Einführen eines Fatums, dreier Gestalten, Klageweibern ähnlich, gehüllt in schwarze Gewänder, mit weiß geschminkten Gesichtern. Sie führen Isadora zum Tode.

Das Orchester schlägt sich unter der Leitung Christian Hammer wacker, lässt es mitunter an der unentbehrlichen Schärfe fehlen, ohne die Schostakowitschs Ballettmusik „Das Goldene Zeitalter“ (komponiert 1930, drei Jahre nach Duncans Tod) die Würze fehlt. Nicht immer passte diese Musikauswahl. Kajdanski verzichtet leider auf die Originalbegleitmusiken der Duncan wie etwa Beethovens 7. Sinfonie oder den Slawischen Marsch von Tschaikowsky. Der Gegensatz zu Schostakowitsch hätte wohl eine fruchtbare Reibung ergeben und zugleich Duncans gänzlich vorurteilslose Auswahl abstrakter Musik verdeutlicht.

Von 1991 bis 1995, dann von 1999 bis 2003 führte Tomasz Kajdanski das Rostocker Ballett. Von der Intendanz war nicht zu erfahren, welche künstlerische Linie nach Kajdanskis Abgang dessen Nachfolger Vladimir Fedianine einschlagen soll. Fedianine, Jahrgang 1946, bisher Trainingsleiter und Choreograf beim Chemnitzer Ballettensemble, kommt aus der klassischen Ecke, hat beispielsweise in Chemnitz „Les Sylphides“ einstudiert. Seine Ausbildung hat er an der Leningrader Kirow-Ballettschule absolviert, laut Internet-Information des Chemnitzer Theaters in einer Klasse mit Michail Baryshnikow. Von 1976 bis 1980 war er Solist bei Tom Schilling an der Komischen Oper Berlin.

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