Ein Zeichen für die Zukunft gesetzt

Wiederaufnahme von John Crankos „Schwanensee“

Stuttgart, 25/12/2002

Ein einzigartiges Phänomen: Vierzig Jahre nach seiner Stuttgarter Uraufführung ragt John Crankos Version des Ballettklassikers „Schwanensee“ unter den traditionellen Fassungen noch immer als unerreicht hervor. Das liegt vor allem an seiner erzählerischen Qualität, der rigiden und unerhört bühnenwirksamen Umstellung, Kürzung und Ergänzung der Musiknummern, der Wendung des Finales allein zu Ungunsten des Prinzen Siegfried, sowie der immensen tänzerischen und dramaturgischen Aufwertung dieser Partie, die seinerzeit geradezu revolutionär war und dem Mann endlich die ihm zukommende Bedeutung im Tanz verschaffte.

Mit seiner den gesamten Abend über von tosendem Applaus begleiteten Wiederaufnahme dieser Produktion hat das Stuttgarter Ballett seinem Gründer alle Ehre erwiesen. Das Stück ist von immerhin fünf Ballettmeistern vorzüglich einstudiert worden, aufpoliert bis in die scheinbar nebensächlichsten Winkel, es gibt weder im berückend homogenen Corps, noch bei den zahlreichen solistischen Auftritten nennenswerte Schwachstellen und das Staatsorchester unter Davor Krnjak spielt mit einer Stilsicherheit und Feinnervigkeit, wie man sie bei Ballettaufführungen selten zu hören bekommt.

Ein besonderes Lob haben sich Wolf-Dieter Streicher und Zoltan Paulich für ihre makellosen Violin- und Cellosoli verdient. Wenn die Compagnie dieses Niveau auch in den Folgevorstellungen halten kann, dann hat Stuttgart einen „Schwanensee“, wie er in dieser Qualität weit und breit nicht zu bestaunen ist.

Ballettintendant Reid Anderson hat gut daran getan, diese Wiederaufnahme zunächst den jüngsten seiner ersten Solisten anzuvertrauen und damit ein Zeichen für die Zukunft zu setzen. Alicia Amatriain in der Doppelrolle der Odette/Odile und Friedemann Vogel als Prinz Siegfried sind zwar noch nicht das darstellerisch vollends gereifte Paar, das sie zweifellos einmal sein werden. Aber ihre jenseitige Fragilität und Biegsamkeit zugleich in den weißen Akten und ihre giftige Attacke im dritten, seine tänzerische Ruhe und sinnverwirrenden, weiten Flüge verbreiten bereits jetzt eine Aura großer Ballettkunst. Überdies ist ihre Partnerschaft von bewundernswertem Einklang. Allein schon ihr vollkommener Pas de deux im zweiten Akt lohnt den Besuch dieser Vorstellung.

Um dieses jugendliche Paar herum funkelt und blitzt es nur so. Die Begleiter des Prinzen, angeführt von dem brillanten Filip Barankiewicz, preschen wie Parade-Lipizzaner über die Bühne, die Bürgerinnen entgelten ihnen das mit allerliebstem Charme und tänzerischer Finesse, in den Folkloretänzen leuchten die Augen und flirren die Füße, von der lieblichen Ivanna Illyenko bis zu der kecken Katja Wünsche und ihrem virilen Begleiter Alexander Zaitsev. Und immer wieder die weiß schimmernde, lupenreine Perlenkette der vierundzwanzig Schwäne, die in Francesca Podini und Diana Martinez Morales hoheitsvolle Leitfiguren haben.

Dieser Stuttgarter „Schwanensee“ ist ein großer Wurf. Und das nicht nur seiner dramaturgischen Plausibilität wegen, sondern vor allem auch wegen der unerreichten Ausgewogenheit von Jürgen Roses noch immer augenkitzelnder Ausstattung, der genialen Choreografie und ihrer Verwirklichung durch eine Tänzerequipe, die gegenwärtig in Deutschland ihresgleichen sucht.

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