Weltumspannende Bedeutungs-Übergröße

Anna Holter scheitert im i-camp an ihrem eigenen Anspruch

München, 16/02/2002

Seit ein paar Jahren tanzt die junge Schwedin Anna Holter in München: kraftvoll-athletisch und zugleich mit dem leichten Anhauch des Gefährdet-Seins, des Auf-der-Kippe-Stehens, der so attraktiv ist. So sah man sie in Stücken von Karen Effenberger, Manfred Kröll, Johanna Richter und – besonders eindrucksvoll – bei Mia Lawrence. So sieht man sie auch in ihren eigenen Choreografien, von denen sie jetzt zwei im i-camp präsentiert. „IN-dividuum alias atomo“, das im vergangenen November im Stockholmer Dansens hus uraufgeführt wurde, beginnt mit einschmeichelnden Akkordeonklängen und einem Video, in dem ein Mann sein Gesicht à la Arcimboldo mit selbstklebenden bunten Formen verziert – hier eine grüne Scheibe hinpappt, dort eine Banane an die Schläfe hängt. Später sieht man das an die Rückwand des Theaters projizierte Video eines Kleinkinds. Auch hier ist das Kameraauge stets auf das Gesicht gerichtet, zoomt es einzelne Partien dicht heran. Noch näher rücken die verschiedenen Köpfe, wenn vorne ein Screen heruntergelassen wird. „Individuum“ steht auf den nackten Schulterblättern der Tänzerin, die in immer neuen Anläufen versucht, ihr Bühnenterritorium zu erobern.

Vergeblich. Anna Holter scheitert nicht an mangelnden Bewegungseinfällen – da sind ihr sparsame, intensive Momente geglückt –, sondern am Anspruch, daraus mit allerlei Schnickschnack einen Abendfüller machen zu wollen. Dafür fährt sie allerhand auf: Kostümwechsel, aufwendiges Lichtdesign, Videos, Texte – im zweiten Stück, der preview „1st time told“, sitzt der schottische Autor und Schauspieler Cameron M. Black auf der Bühne und liest. Doch Anna Holter macht nichts draus, sie lässt den Dingen – dramaturgisch mehr schlecht als recht verknüpft – ihren Lauf, verliert sich in Aktionen (Jacke anziehen, um sie wieder dramatisch fallen zu lassen), immer der Frage auf der Spur: Was ist ein Individuum? Man möchte zurückfragen: Ginge es nicht ein paar Nummern kleiner? Weniger weltenumspannend, im kleinen Format eines kurzen Solos? Dann könnte Anna Holter durchaus etwas zu sagen haben.

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