Petipas Original-„Bayaderka“ aus dem Jahr 1900

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Baden-Baden, 28/12/2002

Zum krönenden Abschluss des deutschen Bajaderen-Dezembers 2002 also Petipas Original-„Bayaderka“ aus dem Jahr 1900, rekonstruiert von Sergei Vikharev, inklusive der historischen Ausstattung (vier Bühnenbildner, eine Kostümbildnerin), getanzt vom St. Petersburger Mariinsky-Ballett im Festspielhaus Baden-Baden (inzwischen ja zu einer Art westlicher Residenz der St. Petersburger avanciert). Und wie getanzt! So dass man am Ende froh war, dass das Gastspiel nicht den Auftakt zu unserer neudeutschen Bayaderitis bildete, denn sonst wäre uns doch sehr bewusst geworden, wie sehr wir noch am Anfang der Bajaderen-Rezeption stehen.

Im allgemeinen kein Freund des musealen Historizismus – und mit Schaudern an das St. Petersburger Original-„Dornröschen“ vor ein paar Jahren zurückdenkend, überzeugte mich die einzigartige Stimmigkeit dieser Produktion – choreografisch, musikalisch, dekorativ – nicht unbedingt auch dramaturgisch und den letzten Akt mit dem Pas des Guirlandes und dem Pas d‘action mit Nikija, Solor und Gamsatti halte ich für total misslungen – und, suprise, surprise – gerade auch mit seinen ausladenden Pantomimen, die ich sonst nicht ausstehen kann, die aber von den Russen mit ganz anderer Motivation praktiziert werden.

Nein, ich möchte diese St. Petersburger Rekonstruktion ganz und gar nicht von einer unserer Kompanien übernommen sehen – gleichwohl fühlte ich mich an die Anfänge der musikalischen Originalklangbewegung vor vier Jahrzehnten erinnert, als wir begannen, uns unter Harnoncourt und seinen Kollegen mit der historischen Aufführungspraxis auseinanderzusetzen. Jedenfalls mangelte es dieser brandneu-uralten St. Petersburger „Bayaderka“ keineswegs an theatralischer Durchschlagskraft – trotz der enormen Länge von vier Stunden – ohne eine einzige tote Minute (wie viertelstundenweise beim weiland „Dornröschen“).

Was der Aufführung aber ihr Hochadelsprädikat verlieh, war ihre stilistische Reinheit, ihre wunderbare Harmonie und ihre knisternde Frische – sozusagen der St. Petersburger Hochstil al dente. Und das nicht nur im legendären Schattenakt (mit der ausgewalzten Eingangsszene im Salon von Solor, der einfach so einschläft, ohne Opiumrausch), sondern auch in den zahllosen Divertissement-Nummern. Welch ein Corps, das einen wahrlich zu poetischen Höhenflügen inspiriert! Bedauert habe ich, dass Andrian Fadejew als Solor so wenig zu tanzen hat, denn wenn er vom Boden abhob, wünschte ich, dass er überhaupt nicht wieder herunterkam. Und wenn ich zunächst auch bedauerte, dass nicht Diana Vishneva die Nikija tanzt, so qualifizierte sich Daria Pavlovska im Laufe der vier Akte zu einer Nikija, die sich in geradezu Dantescher Weise durch immer neue paradiesische Schichten zu immer reinerer Spiritualität sublimierte, so dass man fast schon befürchtete, sie könnte sich in reinen Geist auflösen.

Als ihre Gegenspielerin Gamsatti kontrastierte Elvira Tarasova Nikijas Spiritualität durch ihre mehr irdische mondäne Eleganz. Aber dann müsste man sie eigentlich alle nennen, die zahlreichen Solisten und Halbsolisten, die ihre Variationen mit der so ganz und gar bezaubernden Légèreté ihrer St. Petersburger Bravour servierten – und nicht zu vergessen die Schüler und Schülerinnen der Ballettschule Ronacher, Fellbach (aus der auch eine Daniela Kurz hervorgegangen ist), deren Beteiligung die zahlreich anwesenden Stuttgarter Ballettfans nicht ohne lokale Genugtuung registrierten.


Schönen Dank für das prachtvolle Weihnachtsgeschenk aus St. Petersburg!

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