Les Grands Ballets Canadiens mit „Pique Dame“

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Ludwigsburg, 11/10/2002

Gemessen an Crankos „Onegin“, mit dem die Stuttgarter mit Daimler-Chrysler Power über die Bühnen der Welt düsen, nimmt sich die „Pique Dame“, mit der Les Grand Ballets Canadies de Montréal ihr zweitägiges Gastspiel im Ludwigsburger Forum am Schlosspark eröffneten, wie ein Deux Cheveaux aus. Und verhält sich damit genau umgekehrt zur Puschkinschen Vorlage, die ja sowohl in der Original-Erzählung wie in der Opernversion von Tschaikowsky mit einem ungeheuren dramatischen Sog auf ihr tragisches Finale zusteuert.

Adaptiert Cranko Puschkins Versroman, beziehungsweise die lyrischen Szenen Tschaikowskys als eine Folge großer, leidenschaftlicher, geradezu opernhafter Tableaux, so hat Kim Brandstrup, dänischer Choreograf des Jahrgangs 1957, der zunehmend internationale Aufmerksamkeit auf sich zieht, die Erzählung über den mittellosen deutschen Offizier Hermann, der in den Kasinos der russischen Gesellschaft dem Glück nachjagt und dabei sein Leben und seine Liebe zu Lisa aufs Spiel setzt, in eine filmische Ballade nächtlicher Szenen übersetzt, die zwischen Realität und Traum changieren und sich dabei multimedialer Techniken bedienen.

Im Gegensatz zu Cranko verwendet Brandstrup Tschaikowskys Opernmusik, deren Motive der Komponist Gabriel Thibaudeau sehr feinsinnig für das Ballett arrangiert hat. Dabei ist die Verlegung der Handlung ins kommunistische Leningrad nicht eben der dramatischen Plausibilität der Story zugutegekommen, in der sich die Gräfin, die um das Geheimnis der drei gewinnbringenden Spielkarten weiß, als Vertreterin des Ancien Regime mit ihren Erinnerungen an das zaristische Ballett zwischen den Milizionären der Sowjetarmee doch reichlich unzeitgemäß ausnimmt. So tanzt sich das Ballett durch seine sieben Szenen zwischen Spielkasino, Ballsaal und Schlafzimmer der Gräfin mit kultivierter Blässe, nicht ohne Geschmack, handwerklich gediegen, gefällig anzusehen, doch ohne sonderliche dramatische, geschweige denn immanente gesellschaftskritische Relevanz.

Weder Mario Radacovsky als Hermann noch Gabrielle Lamb als Gräfin und auch Anik Bissonenete als Lisa, versierte, durchaus kompetente Tänzer, die sie sind, erweisen sich in der Lage, ihren reichlich klischeehaft gezeichneten Rollen ein individuelles Profil zu verleihen. Dabei präsentieren sich die Grands Ballets Canadiens als eine Kompanie von durchaus professionellem Zuschnitt, ausgesprochen sympathisch, aber ohne sonderliche tänzerische Identität. Beim Vergleich mit dem einheimischen „Onegin“ wird man sich doch sehr bewusst, dass Montréal eben noch ein paar tausend Kilometer weiter als Stuttgart von Puschkins St. Petersburg entfernt liegt.

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