„The Four of Us“ mit Benito Marcelino

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Stuttgart - Bad Cannstatt, 20/09/2002

Im schnuckeligen Wilhelma-Theater in Bad Cannstatt gab es ein Comeback, auf das Stuttgart offenbar allzu lange hatte warten müssen – sechs Jahre genau, seit seinem Ausscheiden als Erster Solist des Stuttgarter Balletts zu Beginn der neuen Ära von Reid Anderson. Eine zu lange Zeit für einen Tänzer vom Format Benito Marcelinos, wie ihm das Publikum mit überströmender Herzlichkeit bestätigte, als er jetzt mit ein paar Kollegen sein einstündiges Programm „The Four of Us“ präsentierte, gestartet vom funkelnagelneuen mars Servicebüro & Management.

Damit ist nicht gemeint, dass Marcelino mit seiner Stuttgarter Wiederkehr zu lange gewartet hatte, dass wir an diesem Abend einen Tänzer erlebten, der vom Bonus seiner großen Jahre zehrte – unvergessen, um nur an ein paar seiner brillantesten Rollen während seines hiesigen Engagements zu erinnern, seinen Onegin, seinen Diablo aus den Tango-Höllen von Buenos Aires und den ganz anderen Marcelino, als Carabosse in Marcia Haydées „Dornröschen“.

Nein, dies war kein müder Nostalgiker, sondern ein Tänzer in seinen besten Jahren, neugierig auf die Eroberung weiterer künstlerischen Perspektiven. Und wenn es denn, Zeitgeist korrekt, in englischer Sprache geschehen muss! Das heißt: So ganz stimmte der Titel nicht, der von den vier Beteiligten auf der Eintrittskarte bereits die Choreografin Jean Renshaw unterschlug, deren witzige und variationsreiche tänzerische Arrangements erheblich zum Gelingen des Abends beitrugen – genauso wie die clever die Möglichkeiten der Nudelbrettbühne ausschöpfende Inszenierung des holländischen Regisseurs Roeland Kerbosch.

Auf der Bühne waren es dann aber wirklich vier: die Geigerin Anna Regine Stümke und der Cellist Matthias Fuhrmann, die mit ihren Bach-Pieçen den beiden Tänzern den musikalischen Boden und das klangliche Environment lieferten für die kurzweilige Tanzshow der beiden Tänzer. Wobei wir als Marcelinos Partnerin Valerie Valentine kennenlernten, langjährige Ballerina des niederländischen Het Nationale Ballet – eine temperamentvolle Amerikanerin, der die Lebenslust aus allen Poren quillt, eine Komödiantin auch, die gleichwohl ihre grundsolide klassische Technik total verinnerlicht hat.

Wer Marcelinos Gastspiele in der Region zuletzt frequentiert hatte – und er hat ja eine Menge Fans, die ihm überallhin nachreisen, und sei es bis nach Rostock, hatte seinem hiesigen Comeback nicht ohne Bangen entgegengesehen, denn dort war er in Partien und Rollen aufgetreten, die ihn choreografisch unterfordert hatten. Nicht so Jean Renshaw, die in den diversen Skizzen, in denen die beiden Tänzer als tanzende Akteure quasi Szenen aus ihrem Tagebuch aufblättern, Marcelino auf eine Reise ins Innere seines Tänzerdaseins schickte, zur Erkundung zahlreicher Nischen, Abgründe und Nebenschauplätze, von denen er selbst wohl ebenso wenig eine Ahnung hatte wie wir.

Und so erlebten wir ihn an diesem Abend eben nicht nur als charismatischen Ballerino, der erneut durch seine unverminderte pantherkatzenartige Geschmeidigkeit und sinnliche Eleganz für sich einnahm, sondern der auch über eine gehörige Portion Humor, ja augenzwinkernde Selbstironie verfügt, gipfelnd in seiner umwerfenden pantomimischen Parodie als „Dornröschen“-Traumprinz mit der Skepsis eines modernen Mannes ob der von den Brüdern Grimm prophezeiten Wonne- und Glücksjahre „ever after“. Die für den Tänzer Benito Marcelino hoffentlich noch eine Weile andauern mögen.

Vom neuen mars Management wünschen wir uns indessen weitere solcher charmanten Abende und könnten uns gut auch ein Programm vorstellen, mit dem, wenn es denn unbedingt sein muss, englischen Titel „Margaret and Friends“.

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