Drei Uraufführungen von Marguerite Donlon, Douglas Lee und Daniela Kurz

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Stuttgart, 10/05/2002

Nach Christian Spucks „Songs“ im November nun, gebündelt im Schauspielhaus der Staatstheater, drei weitere Uraufführungen von Marguerite Donlon, Douglas Lee und Daniela Kurz – das soll dem Stuttgarter Ballett in dieser Qualität erst einmal eine andere Kompanie nachmachen! Zwei der Novitäten (wie auch Spuck) zur leider wie die Pest sich ausbreitenden Gattung der Quasselballette gehörig: Donlons „Somewhere Between Remembering and Forgetting“ und Lees „Cindys Gift“ (wirklich Cindys? Nicht Cindy‘s?) – mit englischen Titeln und englischen Texten, denen man nur anfangs konzentriert zuhört, um sie dann nur noch als eine Geräuschbelästigung an sich vorbeirauschen zu lassen. Eine Zumutung! Nicht auszudenken, dass ein amerikanisches Publikum sich dergleichen auf Deutsch bieten ließe! Aber das gehört eben auch zu Forsythe und die Folgen sind genau wie die von Frankfurt aus unaufhaltsam auf dem Vormarsch begriffene Unmusikalität der Choreografien. Da war man schon dankbar, dass Kurz sich mit einem schlichten deutschen Titel begnügte: „Schere Stein Papier“ – ganz ohne Text.

Übrigens an allen drei Balletten waren ganze dreizehn Tänzer beteiligt – von siebzig Mitgliedern der Kompanie. Ob wohl die restlichen siebenundfünfzig darüber sonderlich beglückt waren? Drei ausgesprochen unterschiedliche Choreografen-Handschriften – weit entfernt von jeglicher Danse d’école-Akademik – aber auch von jenem erweiterten Neoklassizimus à la Balanchine etcetera.

Alle drei Rätsel aufgebend. Donlon schickt zunächst Katja Wünsche als Pionierin zur Erkundung der Grauzone zwischen Erinnern und Vergessen los, die sich mit echsenhaft geschmeidigen Bewegungen den Weg bahnt und ihre fünf Kollegen in das Netzwerk ihrer kleinteiligen, polyphonen Motionen verstrickt: Yseult Lendvai, die beiden sich vehement in ihre Enchaînements stürzenden Eric Gauthier und Thomas Lempertz sowie Jorge Nozal und Javier Amo Gonzales. Das ist eine ungemein dichte, kleinteilige und komplexe Choreografie, deren Titel durch die Widmung an Jörg Bofinger (siehe kj vom 10.5.) eine unerwartete Aktualität erhält.

„Cindys Gift“ von Douglas Lee meint sowohl Geschenk wie auch Begabung, verdammt Cindy aber zu einer Außenseiterexistenz und ist somit eher ein Verhängnis. Bridget Breiner ist die wunderschön vor sich hin leidende Dame, eine Kontorsionistin der Kommunikationsunfähigkeit, so sehr die anderen Beteiligten, vor allem Ivan Gil Ortega, aber auch Jorge Nozal, Katja Wünsche, Mikhail Kaniskin, Ralitza Malahounova und Magdalena Dziegielewska (was für eine globale Namensversammlung!) sich auch um ihre Integration bemühen. Lee evoziert eine Stimmung der Vergeblichkeit und Frustration – der Arme, ganze fünfundzwanzig Jahre alt, wie mag es da in seiner Seele aussehen. Aber er tut es mit bestechenden Mitteln, offenbar als ein Architekt von bewegten Skulpturen im Raum, die durchaus eine eigene ästhetische Faszination besitzen – die sieben Tänzer als blitzblank polierte Körperinstrumente seiner Imagination.

Den Vogel schießt aber Daniela Kurz am Schluss ab. Sie beginnt auf hochgefahrenem Podest in Schnürbodenhöhe (so dass die ersten paar Parkettreihen überhaupt nichts zu sehen bekommen), senkt die Plattform dann peu à peu ab – bis in die Versenkung, und lässt dort drei Männer, Jason Reilly, Robert Conn und Eric Gauthier in sich weit im Winde bauschenden weißen Röcken wie ein Tornado über die Bühne wirbeln – Derwische der Luft sozusagen, Energiebündel unter Hochstromspannung.

Der Titelbezug einer Wette erscheint hier ausgeweitet zu einem Wettkampf der Machtverhältnisse, den die drei, einer den anderen übertreffend, wie Olympioniken ausfechten. Das ist die deutsche choreografische Antwort auf die Rasanz, mit der der Amerikaner Kevin O´Day in Stuttgart seinen Ruhm begründete – eine Rotations-Choreografie, die abschnurrt wie Windgeneratoren in einer Ballettlandschaft, aber viel faszinierender als die stählernen Mühlenflügel in der deutschen Tiefebene, weil eben tänzerisch sublimiert und personalisiert. Und wie personalisiert! Reilly, Conn und Gauthier setzen hier die Messlatte für den Männertanz noch höher als sie ohnehin beim Stuttgarter Ballett liegt. Welch ein Zukunftsversprechen. Und welch eine Erleichterung als erste große Ballettpremiere nach dem Debakel von Wien!

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